April 27, 2024

Kolumne 08.08.2022

BuchKolumne 08.08.2022 Nr. 729

Virginia Woolf – Mrs. Dalloway
T. J. Newman – Flug 416
Lize Spit
Ich bin nicht da
Ulrike Schweikert / Petra Grill – Die Charité – Neue Wege Tausendundeine Nacht – Das Buch der Liebe

   Virginia Woolf – Mrs. Dalloway

Virginia Woolf - Mrs. Dalloway

Es ist ein besonderer Tag im Leben der zweiundfünfzigjährigen Clarissa Dalloway: Die Gattin eines Parlamentsabgeordneten will am Abend eine ihrer berühmten Upper-class-Partys geben. Der Tag vergeht mit Vorbereitungen, zufälligen Begegnungen mit Jugendfreunden, Konversation, nostalgischen Betrachtungen, Sinneseindrücken beim Flanieren. Ein besonderer Tag soll es – aus ganz anderen Gründen freilich – auch für Septimus Smith werden. Auch ihn, den Kriegsheimkehrer, beschäftigt die Gegenwärtigkeit des Vergangenen in jedem einzelnen Augenblick.

Im Dezember 1924 notierte Virginia Woolf in ihrem Tagebuch: „Ich glaube ganz ehrlich, dass dies der gelungenste meiner Romane ist.“ Ein Schmuckstück eines Romans – innerlich und äußerlich! „Mrs. Dalloway“ ist Virginia Woolfs absoluter Geniestreich! Ein Roman für die Ewigkeit. Ein Klassiker der Weltliteratur. Manesse hat dieses überragende Werk von Melanie Walz neu übersetzen lassen. Eine gelungene Auffrischung des Klassikers. Man erfährt so viel in der Geschichte, über Mrs. Dalloway und ihr Leben, über die Gesellschaft, über das Land, über ihr Denken und Fühlen, die damalige Zeit wird zu einem literarischen Gemälde. Virginia Woolfs versteckter Wortwitz spitzt auch immer wieder durch. Wer „Mrs. Dalloway“ einmal gelesen hat, will es unbedingt wieder tun!

Manesse, 396 Seiten; 24,00 Euro

    T. J. Newman – Flug 416

T. J. Newman - Flug 416

Coastal Airways Flug 416 hat den Flughafen von Los Angeles gerade verlassen, als Kapitän Bill Hoffman einen Anruf erhält. Ein Entführer hat seine Frau und Kinder in seine Gewalt gebracht und stellt Bill vor eine schreckliche Wahl: Entweder bringt er das Flugzeug mit 149 Menschen an Bord zum Absturz, oder seine Familie wird getötet. Zwar gelingt es Bill, die Crew über die Lage zu informieren, doch irgendwo in der Maschine befindet sich noch ein Komplize des Entführers. Und Bill weiß nicht, wem er vertrauen kann. In 10 000 Meter Höhe entbrennt ein Kampf um Leben und Tod, während sich die Maschine unaufhaltsam New York nähert.

Um „Flug 416“ der ehemaligen und attraktiven Flugbegleiterin T. J. Newman ist ein richtiger Hype entstanden. Einer der besten Thriller des Jahres soll dieser sein, und er wird verglichen mit „Speed“ und „Stirb langsam“. Meine Erwartungen waren durch diesen Hype und den Vergleichen natürlich sehr groß. Doch „Flug 416“ stürzte bei mir sehr schnell ab. Da ich ja selbst Autor von sehr erfolgreichen Thrillern bin, war mir eigentlich von Anfang an klar, wenn die Autorin nicht ein Wundertalent ist, wird sie diese recht einfache Story niemals durchgehend spannend auf über 400 Seiten erzählen können. Tat sie dann auch nicht. Die Geschichte wurde mit reichlich Füllmaterial aufgebläht, die natürlich nicht zum Spannungsaufbau beitrugen. Auch konnten mich die Charaktere und die Interaktion dieser nicht fesseln. Zudem war das Überraschungspotenzial sehr beschränkt, und wie die Story ausgeht, war eigentlich von Anfang an klar. Aber es gibt auch gute Beispiele zu dieser Art von Geschichten: Liam Neeson in „Non-Stop“ zeigt, wie man solch eine Story rasend gut und spannend erzählen kann.

Goldmann, 415 Seiten; 12,00 Euro

    Lize Spit – Ich bin nicht da

Lize Spit - Ich bin nicht da

Leo ist seit zehn Jahren mit Simon zusammen. Er ist der wichtigste Mensch in ihrem Leben, und viele andere sind da auch nicht. Eines Nachts kommt Simon wie ausgewechselt nach Hause, völlig überdreht, mit neuer Tätowierung, neuen Freunden, neuen Zukunftsplänen. Er schläft immer weniger und wird zunehmend paranoid. Eine manische Episode hat Leos große Liebe fest im Griff. Als sie begreift, wozu Simon jetzt fähig ist, ist es vielleicht zu spät. Zu lange hat Leo alles für ihn aufs Spiel gesetzt. Nun bleiben ihr genau elf Minuten, um eine Tragödie zu verhindern, die nicht nur ihr Leben für immer verändern würde.

2017 konnte mich die junge belgische Schriftstellerin Lize Spit schon mit ihrem Debüt begeistern. Damals schrieb ich: „Direkt, klar, kühl, und trotzdem einfühlsam in den Figurenzeichnungen, das ist Lize Spits Besteller „Und es schmilzt“. Wer die Romane von Charlotte Roche mochte, wird auch „Und es schmilzt“ von der Belgierin Lize Spits mögen.“ Lize Spit hat sich nun 5 Jahre Zeit gelassen, bevor sie ihren zweiten Roman veröffentlicht hat. „Ich bin nicht da“ ist der Titel, der gewissermaßen auch Programm ist. Doch die Geschichte umfasst so viel mehr. „Ich bin nicht da“ ist ein intensiver Beziehungsroman, der aufzeigt, wie auch die traumhafteste Beziehung in einem großen Drama enden kann. Menschen verändern sich, Beziehungen müssen sich mit ihnen verändern, oder sie sterben. Doch wenn eine Person sich so verändert, das man diese Maß an Veränderung nicht mittragen kann, zerstört auch dies das Traumgebilde. Wie wird die Beziehungen am Ende des Buches aussehen? Lassen Sie sich überraschen! Lize Spite erzählt sehr abwechslungsreich. Sie mischt Gegenwart mit Vergangenheit und lässt die LeserInnen tief in die Beziehung von Leo und Simon blicken und man lernt die beiden so sehr gut kennen. Die Charaktere wachsen einem ans Herz. „Ich bin nicht da“ war eine echte literarische Achterbahnfahrt!

S. Fischer, 571 Seiten; 26,00 Euro

    Ulrike Schweikert / Petra Grill – Die Charité – Neue Wege

Ulrike Schweikert-Petra Grill_Die Charité – Neue Wege

Berlin, 1858. Das Hausmädchen Sophie wird unehrenhaft entlassen und steht vor dem Nichts. Der Sohn der Familie hat sich in Sophie verliebt, doch die Schuld gibt man ihr. Sophie bleibt nur, es ihrer Kindheitsfreundin Bertha gleichzutun und das Geld zum Überleben auf der Straße zu verdienen. Als Bertha und Sophie sich eine der grassierenden Geschlechtskrankheiten einfangen, bringt man sie in die Charité. Statt dort Hilfe zu bekommen, werden die beiden Frauen jedoch unwissentlich Teil eines grausamen Experiments. Bertha erkrankt schwer, und Sophie sorgt aufopferungsvoll für ihre Freundin. Das bleibt auch der Oberschwester nicht verborgen, und Sophie bekommt die Chance, als Pflegerin an der Charité anzufangen. Doch die Angst von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden, liegt wie ein Schatten über Sophie. Vor allem als sie sich in einen jungen Offizier verliebt.

Ulrike Schweikert gehört mit ihren historischen Romanen zu den erfolgreichsten Autorinnen in diesem Genre! Ihre Reihe um das berühmte Krankenhaus „Charité“ ist natürlich ein ebenso großer Erfolg. Nach „Hoffnung und Schicksal“ und „Aufbruch und Entscheidung“ folgt nun mit Co-Autorin Petra Grill „Neue Wege“. Und wieder fängt die Autorin bzw. fangen die Autorinnen die Zeit von damals prächtig ein. Das Geschehen geht unter die Haut! Vor allem die ganzen Aspekte der Medizin, was man damals wusste, wie man es behandelte, ist äußerst spannend. Doch nicht weniger spannend ist die Entwicklung der Charaktere und auch der Aufbau der Geschichte. „Die Charité – Neue Wege“ wird auch Ihnen unter die Haut gehen!

Rowohlt Polaris, 475 Seiten; 16,00 Euro

    Tausendundeine Nacht – Das Buch der Liebe

Tausendundeine Nacht - Das Buch der Liebe

Große Liebe – große Geschichten! Das Buch der Liebe enthält ein Kleeblatt von vier schönen, schrecklichen und erotischen Liebesdramen aus den ältesten Quellen von Tausendundeine Nacht. Sie handeln von einem Prinzen und einer Prinzessin, die partout nicht heiraten wollen, sich durch einen dämonischen Zauber aber ineinander verlieben, oder von einem verarmten Händler, der in den Besitz einer wunderschönen Sklavin kommt, die ihm arglistig geraubt wird. Die Erzählerin Schahrasad entführt Sie in einen paradiesischen Liebesgarten, auf Basare, in Wüsten und schließlich in die Unterwelt und hält Sie mit verliebten Beduinen, feuerspeienden Drachen, singenden Klostermönchen, hinterlistigen Händlern, grausamen Herrschern, klugen Haremswächterinnen und plötzlichen Wendungen des Schicksals in Atem.

Wer die Literatur liebt, wird dieses Buch lieben! Die Erstübersetzung des Klassikers „Tausendundeine Nacht – Das Buch der Liebe“ von Claudia Ott wird Ihnen wohlige und genüssliche Lesestunden bescheren. „Das Buch der Liebe“ setzt den ersten Band von Claudia Otts hochgerühmter Neuübersetzung (über 100.000 verkaufte Exemplare) mit vier wahrlich fesselnden Liebesgeschichten fort. Die ältesten Manuskripte von „1001 Nacht“, erstmals erschlossen und übersetzt, erscheinen in frischem Glanz und zeigen, dass gute Geschichten niemals sterben. Die vier Hauptkapitel bzw. -geschichten sind: „Kamarassaman und Budur“, „Alischar und Sumurrud“, „Ibrahim und Dschamila“ und „Sul und Schumul“.

C. H. Beck, 544 Seiten; 32,00 Euro