April 27, 2024

Kolumne 04.03.2024 Nr. 811

      BuchKolumne 04.03.2024 Nr. 811

Christian Bommarius – Todeswalzer – Der Sommer 1944
Ruth Bennett – Wintertraum in Kanada
Michael Grüttner – Talar und Hakenkreuz
Annika Brockschmidt – Die Brandstifter
Bernd Stelter – Mode, Mord und Meeresrauschen

      Hörbuch der Woche

Ruth Ware – Zero Days

Christian BommariusTodeswalzer – Der Sommer 1944

Am 1. Juni 1944 beherrschen deutsche Truppen fast ganz Europa; drei Monate später stehen die Alliierten an den Grenzen des Reichs. Das Ende des blutigsten Kriegs der Geschichte scheint unmittelbar bevorzustehen, doch es wird weitere acht Monate dauern, in denen noch einmal so viele Menschen wie in den fünf Jahren zuvor sterben werden. Und: Als zwischen Mai und Juli über 400.000 ungarische Juden nach Auschwitz deportiert werden, kommt der Holocaust zu einem seiner letzten Exzesse. Im Sommer 1944 begann sich der Todeswalzer in einer nie zuvor für möglich gehaltenen Geschwindigkeit zu drehen. Die Gleichzeitigkeit des Mordens und der Lebensfreude, auch im Reich, macht uns bis heute fassungslos.

Christian Bommarius ist kein Unbekannter auf denglers-buchkritik.de. Mit „Im Rauch des Aufruhrs – Deutschland 1923“ hat er mich schon begeistern können. Nun sein neues Buch. So wie Christian Bommarius den Sommer 1944 erzählt, könnte man daraus eine überaus spannende Netflix-Serie machen! Seine Schlaglichter, die er auf die unterschiedlichsten Orte und Personen wirft, geben ein so weitreichendes und höchst interessantes Bild dieses so tödlichen Sommers wieder. Da werden deutsche Städte von den Alliierten in Schutt und Asche gebombt, da werden von der SS Massaker an der französischen Zivilbevölkerung verübt, es folgt der Einmarsch der Alliierten in der Normandie, da wird am Bodensee eine NS-Schmonzette gedreht, die Massaker der Deutschen setzten sich fort, in Italien, nachdem dort die Alliierten Fuß gefasst habe, ebenso auf Kreta, es wird von der „berühmtesten Soldatin der Alliierten“ berichtet, Marlene Dietrich. Es passiert weiter so viel, doch eines ist gewiss, die deutsche Wehrmacht wird verlieren. Nur Hitler träumt noch vom großen Endsieg. Doch die Alliierten und die Rote Armee löschen die deutsche Wehrmacht Woche für Woche weiter aus. Dabei rollen aber weiter Tag für Tag die Züge nach Auschwitz. Gaskammern und Krematorien sind im Dauereinsatz. Das Ende meiner Kritik soll eine Aussage der Nazis sein, die auch heute, durch den Aufstieg der AfD, aktueller denn je ist: „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selbst stellten, durch die sie vernichtet wurden.“ Wir sollten gewarnt sein, damit wir in Zukunft nicht alle zum „Todeswalzer“ gebeten werden. Der Sommer 1944 war der Anfang vom lang ersehnten Ende des NS-Regimes und noch so viel mehr. Ein Buch, wie ein Film des Schreckens und der Hoffnung zugleich!

dtv, 316 Seiten; 26,00 Euro

 Ruth Bennett – Wintertraum in Kanada

Sara und Paul haben sich eine Reise nach Kanada geschenkt. Sie erleben schöne Tage in den schneebedeckten Landschaften. Die Nächte sind magisch, mit sternenübersätem Himmel und Polarlichtern. Zurück in Deutschland planen sie die Auswanderung in ihr Traumland Kanada. Übers Internet kaufen sie ein wunderschönes Haus am Okanagan-See, in dem sie ein Bed & Breakfast eröffnen möchten. Doch als sie in Kanada ankommen, entpuppt sich das idyllische Haus als total marode Unter diesen Bedingungen wird es in der jungen Ehe recht turbulent. Und dann stehen nicht nur immer mehr unerwartete Gäste vor der Tür, sondern der kanadische Winter, der die Sanierung erschwert, aber dessen Zauber auch Wunder wirkt.

Der Winter geht, der Frühling ist da. Zeit für einen letzten Winterroman. Wenn Sie schöne Landschaftsbeschreibungen vom verschneiten Kanada lesen wollen, dann könnte dieser Roman ihr Herz erwärmen. Auch wenn Sie die teils chaotischen Auswandererstorys wie in „Goodbye Deutschland“ mögen. Doch wenn sie eine gefühlvolle Lovestory mit Wohlfühlfaktor lesen wollen, dann wird Ihnen dieser Roman Kopfzerbrechen bereiten. Der Titel „Wintertraum in Kanada“ passt da nicht so recht, eher „Winterhorror in Kanada“. Dieser Titel trifft zu, wenn man den Story-Verlauf heranzieht und die fast durchweg unglaubwürdigen und wenig Sympathie verbreitenden Charaktere.

Lübbe, 270 Seiten; 11,99 Euro

   Michael Grüttner – Talar und Hakenkreuz

Die 23 Universitäten, die am Ende der Weimarer Republik in Deutschland existierten, waren seit 1933 massiven „Säuberungen“ ausgesetzt, die sich vor allem gegen Studierende und Wissenschaftler jüdischer Herkunft richteten. Dieser „Machtergreifung“ von oben entsprach eine „Machtergreifung“ von unten: Viele Professoren traten in die Partei ein, manche versuchten wie Carl Schmitt und Martin Heidegger, sich als Vordenker des NS-Regimes in Stellung zu bringen. Dieses Buch schildert die erstaunlich geräuschlose Machtübernahme der Nationalsozialisten, analysiert die Hochschulpolitik des Regimes, die sich ganz unterschiedlich auf die verschiedenen Fächer auswirkte, und erklärt, warum die Wissenschaften im Dienst des Nationalsozialismus nicht nur unfreier wurden, sondern mitunter sogar größere Handlungsspielräume besaßen als je zuvor.

Die erste Gesamtdarstellung der Universitäten im Dritten Reich. Es gab immer wieder Ansätze, dieses Thema der NS-Zeit kompetent und komplett darzustellen, doch bisher sind diese gescheitert oder es gab nur einzelnen Fragmente. Daher ist dieses Buch ein echtes Highlight in der Geschichtsforschung! Michael Grüttner hat hier hervorragende und eine sehr zeitintensive Arbeit abgeliefert. Äußerst spannend und aufschlussreich! Die Hauptkapitel sind: „Die Universitäten vor der nationalsozialistischen Machtübernahme“, „Die nationalsozialistische Machtübernahme an den Universitäten“, „Nationalsozialistische Hochschulpolitik: Strukturen, Ziele und Akteure“, „Die Universität im Kraftfeld der Politik“, „Der Lehrkörper“ und „Wissenschaft.“ Michael Grüttner hat mit „Talar und Hakenkreuz“ ein Standardwerk erschaffen, das über viele Jahrzehnte Bestand haben wird!

C. H. Beck, 704 Seiten; 44,00 Euro

   Annika Brockschmidt – Die Brandstifter

Buch zeichnet die Geschichte der Republikanischen Partei nach und stellt ihre wichtigsten Akteure vor. Dabei wird deutlich, wie porös die Brandmauer zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus in den USA schon immer war, nicht erst seit Donald Trump. Es zeigt, wie historische Entwicklungen und Machtkämpfe die Partei geprägt und radikalisiert haben – und warum das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2024 nicht nur für die USA von entscheidender Bedeutung sein wird.

Annika Brockschmidt ist keine Unbekannte, wenn es um die Rechten in Amerika geht. Ihr Buch „Amerikas Gotteskrieger – Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ war ein Bestseller. Und nun lässt sie gleich ihren nächsten folgen. „Die Brandstifter – Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen“ erklärt ausführlich und klar, was Sie aus den Nachrichten nicht erfahren! Sie bekommen einen Einblick ins Innere der Republikanischen Partei, dass Sie vieles klarer sehen wird. Wie ist die Partei entstanden und wie hat sie sich über die Jahrzehnte weiterentwickelt. Und was ist sie heute für eine Partei. Auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA werden Sie nach der Lektüre anders blicken. Die Hauptkapitel sind: „Das Erbe“, „Konservative Revolutionäre“, „Der Sturz der Heiligen“, „Der Business-Prinz und die Bircher“, „Eine Partei für Weiße“, „Make America Great Again“, „Vorboten der Apokalypse“, „Schwelbrand“, „Schlurfen nach Gomorrha“, „Die dunkle Seite der Macht“, „Die neue Revolution“, „Autopsie einer Partei“, „Eine neue Ära“ und „Herrschaft der Minderheit“.

Rowohlt, 366 Seiten; 24,00 Euro

Bernd Stelter – Mode, Mord und Meeresrauschen

Tod auf dem Laufsteg: Marc van de Velde, berühmtester Modemacher der Niederlande, bricht bei der Modenschau in Middelburg tot zusammen; sein roter Samtsmoking ist blutdurchtränkt. Das Publikum ist entsetzt, denn allen ist klar: Es war Mord! – Piet van Houvenkamp, Inspecteur der Polizei von Middelburg und nichts weniger als modeaffin, durchfährt gerade den Tunnel unter der Westerschelde und plant ein ganz besonderes Wochenende, als ihm der Anruf seiner Assistentin einen Strich durch die Rechnung macht. Er muss ermitteln! Schlimm genug – und dann kommen auch noch die deutschen Camper vom Camping de Grevelinge dazu, auf deren Unterstützung van Houvenkamp wie immer lieber verzichten würde.

Der sehr sympathische Bernd Stelter hat wieder einen sehr sympathischen Camping-Krimi geschrieben! Nach „Der Tod hat eine Anhängerkupplung“, „Der Killer kommt auf leisen Klompen“ und „Mieses Spiel um schwarze Muscheln“ ist „Mode, Mord und Meeresrauschen“ der vierte Camping-Krimi aus der Feder des beliebten Komikers. Wieder hat Bernd Stelter einen Reigen an netten Figuren versammelt, die in einer frischen und launigen Story auf Mörderjagd gehen. Spannend-spaßige Urlaubslektüre!

Lübbe, 334 Seiten; 22,00 Euro