März 19, 2024

Kolumne 08.05.2023 Nr. 768


BuchKolumne 08.05.2023 Nr. 768

Karl Ove Knausgård – Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit
Sawsan Chebli – Laut
Birgit Borchert – Spuren einer fernen Zeit
Fredrik Backman – Die Gewinner
Giuliano da Empoli – Der Magier im Kreml

 Karl Ove Knausgård – Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit

Alles beginnt 1986 im Süden Norwegens. Der junge Syvert Løyning kehrt vom Militärdienst zu seiner Mutter und seinem Bruder ins Haus der Familie zurück. Im fernen Tschernobyl ist gerade ein Atomreaktor explodiert, Norwegen selbst wird von einer Regierungskrise erschüttert. Syvert weiß nicht wirklich, wohin mit sich. Was hält die Zukunft für ihn bereit? Eines Nachts träumt er von seinem toten Vater, und ein unheimliches Gefühl beginnt sich in ihm festzusetzen: sein Vater will ihm eine Botschaft übermitteln. Aber welche könnte das sein? Ratlos beginnt er sich die nachgelassenen Sachen von ihm genauer anzuschauen. Und muss schließlich feststellen, dass es ein anderes Leben gab, das sein Vater führte. Eines, das bis in die Sowjetunion führt. Ein Leben, das mit der russischen Wissenschaftlerin Alevtina zu tun hat, die viele Jahre später an einem Wochenende mit ihrem Sohn nach Samara reist, um den achtzigsten Geburtstag ihres Vaters zu feiern, und da noch nicht weiß, dass sie bald Besuch aus Norwegen bekommen wird.

„Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ steht in einem inneren Zusammenhang zu Karl Ove Knausgårds letztem Bestseller „Der Morgenstern“. Kann man es schaffen, einen literarischen Roman zu schreiben, der über 1.000 Seiten hat, und auf der keine einzige uninspiriert und langweilig ist? Ja! Lesen Sie „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ und Sie werden wissen, warum das so ist. Karl Ove Knausgård schreibt Literatur zum immer wieder lesen! Seine Bücher besitzen diese besondere Magie von Einfachheit und Klarheit, von Stärke und Schwäche seiner Figuren, von großer Nahbarkeit. Mit großer Brillanz bringt er seinen LeserInnen seine Geschichten nahe. Ein Roman mit einem lauten literarischen Donnerhall!

Luchterhand, 1.051 Seiten; 30,00 Euro

 Sawsan Chebli – Laut

Fast täglich wird Sawsan Chebli mit Hasskommentaren und Online-Hetze überhäuft. Wenn sie sich auf Social Media äußert, in einem Interview oder mit einem Zeitungsbeitrag in die öffentliche Debatte einmischt; wenn sie sich, wie so oft, leidenschaftlich für eine diverse und inklusive Gesellschaft ausspricht, türmt sich die Flut an Hate Speech mitunter zu brutalen Shitstorms auf. Das aus digitaler schnell körperliche Gewalt werden kann, erlebte sie ganz unmittelbar, als sie eines Tages mitten in Berlin von einem Unbekannten angegriffen wurde. Cheblis Erfahrungen stehen exemplarisch für ein besorgniserregendes, akut demokratiegefährdendes Klima neuer Cybergewalt, die sich in besonderer Härte gegen Frauen, Menschen in Armut, Andersgläubige, PolitikerInnen und MigrantInnen richtet.

Ein Buch, das die Gemüter erhitzt! Oder eher die Frau dahinter, Sawsan Chebli. Wenn jemand hart arbeitet, gönne ich jedem seinen Erfolg im Leben. Sawsan Chebli zeigt, dass ihr Weg kein einfacher war, um auf die Position zu kommen, auf der sie heute ist. Was sie in diesem Buch anspricht, sollte man wahrlich laut, ganz laut in die Welt hinausschreien. Der Hass im Internet ist erbärmlich! Jeder der Hass im Internet verbreitet, sollte offen sein Gesicht zeigen, wie die, die den Hass „empfangen“ müssen. Oft für etwas, das früher vielleicht nur ein Kopfschütteln hervorgerufen hätte. Die Grenzen des Anstands sind leider schon lange gefallen. Wer Hass im Internet verbreitet, sollte sich immer fragen: Was wäre, wenn mir das jemand antun würde? Verbal bedrohen, bespucken, niedermachen. Fänden die SchreiberInnen das gut? Das ist eher zu bezweifeln. Dass die Hass-Community gegen Sawsan Chebli weiter ausgezeichnet funktioniert, zeigen die „X Personen fanden diese Information hilfreich“-Bewertungen auf Amazon. Wenn dort in ganz kurzer Zeit über 5.000 „Hilfreich“-Bewertungen zusammenkommen, hat das natürlich rein gar nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun, sondern mit dem Hass auf Sawsan Chebli. Warum ich dieses Buch trotzdem nicht uneingeschränkt empfehlen kann, ist die etwas einseitige Betrachtung von Sawsan Chebli. Sie hätte hier mehr Differenzierung walten lassen können. Zudem ist die Schreibweise nicht immer gut lesbar. Trotzdem: „Laut“ sollte man Beachtung schenken!

Goldmann, 234 Seiten; 18,00 Euro

    Birgit Borchert – Spuren einer fernen Zeit

Birgit Borchert - Spuren einer fernen Zeit

Frankfurt, 1907. Als die junge Sophie von Mayden den großen Lichthof des neuen Senckenberg-Museums betritt, ist sie wie gebannt vom Anblick eines riesigen Dinosauriers. Sie spürt: Eines Tages will sie diese faszinierenden Urzeitwesen selbst erforschen. Doch als Frau ist ihr der Weg zum Paläontologie-Studium versperrt. Außerdem erwarten ihre Eltern baldmöglichst eine standesgemäße Heirat. Sophie aber hat andere Pläne. Ihre Beharrlichkeit verhilft ihr zu einer Anstellung im Museum. Dort verliebt sie sich in den Doktoranden Paul Klüver, der aus einfachen Verhältnissen stammt und in Sophie nur eine verwöhnte Bürgertochter sieht. Eine spektakuläre Expedition führt beide nach Afrika, wo Sophie ihm und sich selbst beweisen will: Für ihren großen Traum ist sie bereit, alles aufs Spiel zu setzen.

Hape Kerkeling liebt den Roman. Das hat sicher auch den Grund, dass Birgit Borchert früher einmal die PR-Redakteurin von TV-Shows war, u. a. auch von Hape Kerkeling. Aber ganz weg vom prominenten Unterstützer ist Birgit Borchert wahrlich ein ganz starkes Stück von einem Roman gelungen. „Spuren einer fernen Zeit“ lässt Sie eintauchen in eine ferne Zeit, die schon fast 120 Jahre zurückliegt und trotzdem so nah und spannend ist. Sophie von Mayden ist ein starke Frauenfigur, an deren Fersen man sich gerne hängt. Dem Drang, sich zu verwirklichen, sich frei zu fühlen in dem, was man tun will, für das was man brennt. „Spuren einer fernen Zeit“ ist ein ganz leidenschaftlicher Roman. Die Leidenschaft des Erforschens des Lebens. Birgit Borchert kann spannende Geschichten erzählen!

Lübbe, 592 Seiten; 17,00 Euro

„Lady Mary Montagnu – Die Impfpionierin“ von Paula Bellheim

 

Bei Lübbe ist ein weiterer spannender Roman über eine engagiere und starke Frauenfigur erschienen: „Lady Mary Montagnu – Die Impfpionierin“ von Paula Bellheim.  414 Seiten, 13,00 Euro.

    Fredrik Backman – Die Gewinner

Björnstadt ist eine kleine Stadt mitten im Nichts. Das Leben ist rau und einsam, die Menschen eint nur der gemeinsame Kampf gegen „die dort draußen“ und ihre Leidenschaft für den Eishockeyclub. Zumindest bis zu jener katastrophalen Nacht vor zwei Jahren. Seitdem geht ein tiefer Riss durch die Gemeinschaft. Nun finden sich alle noch einmal zum großen Finale zusammen. Und während über dem Wald rund um das Städtchen ein gewaltiger Sturm aufzieht, müssen die Menschen sich fragen, was sie zu opfern bereit sind für ihre Stadt und ihre Familien. Denn Björnstadts Zukunft hängt an einem seidenen Faden.

Nach „Kleine Stadt der großen Träume“ (neuer Titel ‘Björnstadt’) und „Wir gegen euch“ folgt nun der Abschluss der „Björnstadt“-Trilogie mit „Die Gewinner“. Fredrik Backman hat ein einzigartiges Gespür für seine Figuren und deren Gefühle. Sein Stil macht süchtig! „Die Gewinner“ zeigt erneut das Bild einer seelisch verwundeten Kleinstadt und wie ein Ereignis nachhaltig alles verändern kann – in den Köpfen der Menschen, in ihren Herzen, in ihrem Verhalten. „Die Gewinner“ ist wie die Vorgängerbände ein großer Gesellschaftsroman im Kleinen. Er erzählt so viele einzelne Geschichten in der fast 1.000 Seiten umfassenden großen Geschichte. „Die Gewinner“ wird für Sie ein großer Lesegewinn sein!

Goldmann, 951 Seiten; 22,00 Euro

  Giuliano da Empoli – Der Magier im Kreml

Diese Geschichte führt uns ins Zentrum der russischen Macht, wo permanent Intrigen gesponnen werden. Und wo Vadim, der zum wichtigsten Spindoktor des Regimes geworden ist, ein ganzes Land in ein politisches Theater verwandelt, in dem es keine andere Realität als die Erfüllung der Wünsche des Präsidenten gibt. Vadim, der Regisseur, der sich unter die Wölfe verirrt hat, gerät immer tiefer in die Machenschaften des Systems, das er selbst mit aufgebaut hat, und wird alles daransetzen, um dort wieder herauszukommen.

Nach dem brutalen Angriffskrieg des Putin-Regimes auf die Ukraine bekommt dieser Roman noch einmal einen ganz anderen Stellenwert. Giuliano da Empoli hatte dabei eine gewisse Weitsicht, denn er hat diesen Roman im Januar 2021 fertiggestellt, als gut ein Jahr vor Putins Krieg. Ganz davon abgesehen ist dieses Buch ein literarisches Ereignis. Ausgezeichnet mit dem Grand Prix du Roman de l’Académie française, und zudem über 200.000 verkaufte Exemplare in Frankreich. Die Rechte an dem Roman wurden bereits in 26 Länder verkauft. Er zeigt, wie es in Russlands Machtapparat zugeht. Ein ganzes Land ist diesem Lügengebilde verfallen, auch, weil Auflehnung Gefängnis oder den eigenen Tod bedeuten kann. Aber wenn alle gleichzeitig aufstehen, wird das keine Regierung der Welt überleben können, doch dazu wird es natürlich nicht kommen. Giuliano da Empolis „Der Magier im Kreml“ ist ein brandaktueller Roman, der erschüttert und schockiert!

C. H. Beck, 261 Seiten; 25,00 Euro