BuchKolumne 15.05.2023 Nr. 769
John Ajvide Lindqvist – Unwesen
Jack Jordan – Die Herzchirurgin
Till Raether – Die Architektin
David Baldacci – Flashback
Jacob Mikanowski – Adieu, Osteuropa
John Ajvide Lindqvist – Unwesen
Norrtälje, eine verschlafene Küstenstadt in Nordschweden. Als am Hafen ein Container auftaucht, von dessen Herkunft niemand etwas wissen will, geschieht erst einmal nichts. Nur Siv, Halbwaise und alleinerziehende Mutter eines kleinen Mädchens, spürt eine Bedrohung. Als der Container endlich aufgebrochen wird, legt sich etwas Dunkles über die Stadt. Freundlichkeit und Mitgefühl verschwinden aus Norrtälje. Es gibt keine helfenden Hände mehr, kein tröstendes Wort. Siv weiß, dass die Zeit des Wartens für sie zu Ende geht. Zusammen mit Freunden folgt sie der Spur des Bösen.
John Ajvide Lindqvist schreibt so, als ob er Stephen King immerzu über die Schulter schauen würde! Das der Schwede John Ajvide Lindqvist schon länger mit Stephen King verglichen wird, ist nicht neu, aber man muss es einfach immer wieder betonen, wenn man vor allem auch sein neuestes Werk „Unwesen“ betrachtet. Er lässt sich viel Zeit seine Figuren zu entwickeln, sie rücken ein so nahe, als ob sie aus dem Bekanntenkreis kennen würde. Dabei lässt er aber immer etwas Geheimnisvolles durch die Zeilen ziehen. Man spürt, dass etwas passieren wird, und garantiert nichts Gutes! John Ajvide Lindqvist treibt so auch sein Unwesen mit den LeserInnen. Und das sorgt für mächtig viel Gänsehaut. „Unwesen“ ist fast 800 Seiten lang, und dabei immer noch viel zu kurz. So wie John Ajvide Lindqvist seine Figuren beschreibt, die Story angeht, hätte das Buch auch gerne über 1.000 Seiten lange sein dürfen. Wie bei Stephen King tut man sich unheimlich schwer, sich von John Ajvide Lindqvists Figuren zu verabschieden und nach der letzten Seite das Buch zuzuschlagen.
dtv, 765 Seiten; 26,00 Euro
Jack Jordan – Die Herzchirurgin
Als die erfolgreiche Herzchirurgin Anna Jones eines Abends nach Hause kommt, ist ihre Babysitterin tot, ihr kleiner Sohn verschwunden. Die Entführer stellen Anna vor die Wahl: Entweder lässt sie den beliebten Politiker Ahmed Shabir, der als der nächste Premierminister gehandelt wird, in zwei Tagen auf ihrem OP-Tisch sterben; oder ihr Sohn wird sein Leben verlieren. Verzweifelt beginnt Anna zu ahnen, dass sie in Wahrheit überhaupt keine Wahl hat. Auch Krankenschwester Margot steht vor einem Dilemma. Sie hat enorme Schulden, beklaut die eigenen Kollegen. Kurz vor ihrer Entlarvung macht sie eine ungeheuerliche Beobachtung, die ihr Leben an den Abgrund rückt.
Jack Jordan hat wie ich sehr erfolgreich Thriller in Eigenregie veröffentlicht. Er war wie ich bei Amazon ganz vorne platziert mit seinen Thrillern. Doch nun hat er die Eigenregie verlassen und einen Roman bei einem Verlag veröffentlicht, der nun auch auf Deutsch erscheint. „Die Herzchirurgin“ ist ein dramatischer und spannender Thriller! Ohne Frage rüttelt einen die Story ganz schön durch. Das tut sie aber vor allem am Anfang und gegen Ende. Durchgängig kann Jack Jordan dieses Tempo und die Spannung nicht halten. Zudem sind die Figuren nicht unbedingt Magneten, an denen man haften bleiben möchte. Ich habe sie eher distanziert begleitet, und so ist für mich auch die Story eher distanziert geblieben.
Droemer, 366 Seiten; 14,99 Euro
Till Raether – Die Architektin
West-Berlin in den frühen Siebzigerjahren. Inmitten der klammen, grauen, von Männern geprägten Stimmung der Zeit zieht eine Baulöwin ihre Kreise. Als glamouröse Person der High-Society nutzt sie ihre Verbindungen in die hohen Kreise der Politik, um gewaltige Bauvorhaben durchzuboxen. Doch dann kommt ihr Otto in die Quere, gerade neunzehn Jahre alt, Praktikant einer Vorort-Zeitung, der ein wenig blauäugig von seltsamen Vorkommnissen auf der Großbaustelle berichtet und damit ins Visier der Architektin gerät. Otto wird jede Hilfe brauchen, die er finden kann, um sich ihrem Bann zu entziehen.
Till Raether schreibt Romane, die man gelesen haben sollte! Seine Themenkomplexe sind vielseitig, er schreibt oft etwas ganz anderes als das, was man von ihm erwarten würde. Das trifft auch auf seinen neuen Roman „Die Architektin“ zu. Wollen Sie eine Zeitreise zurück in die 1970er unternehmen? Mit allem Muffigem, Eigenartigem, Coolen und total Uncoolen. was die 1970er eben ausgemacht haben. Dann lesen Sie „Die Architektin“! Till Raether fängt den Zeitgeist in prägnanten Bildern ein. Zu dem ganzen Flair der Story hat er auch noch großartige Figuren entworfen. Vor allem die Hauptfigur, wie sich die Architektin in dieser so dominanten Männerwelt durchsetzt. Wollen Sie, dass Ihre Lesezeit ein sicheres Investment ist? Dann vertrauen Sie auf Till Raethers „Die Architektin“!!
btb, 414 Seiten; 24,00 Euro
Amos Decker, der Memory Man, besucht seine Heimatstadt, als plötzlich ein alter Bekannter vor ihm steht. Meryl Hawkins ist ein verurteilter vierfacher Mörder und der Erste, den Decker als junger Polizist hinter Gitter gebracht hat. Hawkins, der aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes vorzeitig entlassen wurde, beteuert seine Unschuld. Sein letzter Wunsch: der FBI-Ermittler soll seinen Namen reinwaschen. Kurz darauf wird Hawkins erschossen. Nun kommen Decker echte Zweifel: Hat er dabei geholfen, den Falschen zu bestrafen? Als er den Fall wieder aufrollt wird klar: Jemand wird weiter töten, um ein altes Geheimnis zu verbergen.
David Baldacci hat seine Fans in diesem Frühjahr schon mit dem Thriller „Finstere Lügen“ beglückt. Dieses Buch erschien bei Lübbe, nun legt Heyne mit einem weiteren Hardcover nach. David Baldacci führt mit „Flashback“ seine „Memory-Man“-Reihe fort. Die „Memory-Man“-Reihe überzeugt mit viel Spannung und überraschenden Wendungen! Und da macht „Flashback“ keine Ausnahme. David Baldacci nutzt das Potenzial der Story perfekt aus.
Heyne, 540 Seiten; 22,00 Euro
Jacob Mikanowski – Adieu, Osteuropa
Das Buch entwirft das Panorama einer ungemein reichen Welt, die dem Westen stets fremd war und zugleich starke Impulse gab – sei es in Kunst und Literatur in der Erfindung des Nationalismus oder im jüdischen Leben. Es schildert die Fährnisse von großen wie unbekannten Volksgruppen, Reichen, Religionen. Imperien wie Österreich-Ungarn oder Russland, auch der Islam werden im Gesamtbild neu begreiflich. Entlegenes wird beschrieben: die jüdische Kriegersekte der Karäer, nomadische Räuberdynastien oder Werwolf-Familien; es porträtiert illustre Figuren wie Jakob Frank, der Goethe erstaunte, den türkischen Dandy und Reiseautor Evliyâ Çelebi, der ab 1630 halb Europa und Afrika erkundete, oder die kaiserliche Augenärztin Salomea Pilsztyn.
Von der Oder bis Sibirien, von der Krim bis zum Baltikum – zum ersten Mal wird der osteuropäische Kulturraum insgesamt ins Auge gefasst. „Adieu, Osteuropa“ lässt eine ganze Welt lebendig werden, die in ihrer Vielfalt an Sprachen, Ethnien, Künstlern, Spielern und Herrschern verblüffend modern war, lange bestand und die erst im Kapitalismus des späten 20. Jahrhunderts untergeht. „Adieu, Osteuropa – Kulturgeschichte einer verschwundenen Welt“ ist fabelhaft erzählte Kulturgeschichte! Jacob Mikanowski erzählt viele kleine und spannende Geschichten in dieser großen von Osteuropa. Eine spannende Zeitreise, die einen viel lehrt und dabei gut unterhält! Die Hauptkapitel sind: „Glauben“, „Imperien und Völker“ und „20. Jahrhundert“.
Rowohlt Berlin, 508 Seiten; 34,00 Euro