November 21, 2024

Kolumne 05.07.2021 Nr. 672

BuchKolumne 05.07.2021 Nr. 672

Kimberly McCreight – Eine perfekte Ehe
Johannes Anyuru – Sie werden in den Tränen ihrer Mutter ertrinken
Melissa Broder
Muttermilch
Thomas Alexander Szlezák
Platon
Lothar Frenz
Wer wird überleben?

   Kimberly McCreight – Eine perfekte Ehe

Kimberly McCreight - Eine perfekte Ehe

Der Hilferuf ihres alten Studienfreundes Zach kommt für die New Yorker Anwältin Lizzie Kitsakis denkbar ungelegen: Eigentlich wollte sie wieder mehr Zeit mit ihrem Mann verbringen, um die Risse zu kitten, die sich in ihrer Ehe auftun. Doch Zach wird verdächtigt, seine Frau Amanda ermordet zu haben, und sitzt bereits in der berüchtigten New Yorker Haftanstalt Rikers Island. Natürlich beteuert Zach seine Unschuld, und Lizzie glaubt ihm. Je mehr sie allerdings über die Ehe von Zach und Amanda erfährt, desto mehr häufen sich die Ungereimtheiten. Was verschweigen Zach und seine Freunde in dem elitären Brooklyner Wohnviertel? Als ein neues Beweismittel auftaucht, wird Lizzies Welt auf den Kopf gestellt: Kann es sein, dass ihr eigener Ehemann Sam in den Fall verwickelt ist?

Kimberly McCreight, einst erfolgreiche Anwältin in New York, erscheint mit ihren Romanen regelmäßig auf der „New-York-Times“-Bestsellerliste. Ihr neuester Clou ist „Eine perfekte Ehe“. Ein Thriller, der einem gehörig den Kopf verdreht! Kimberly McCreight spart nicht mit Überraschungen und einem bis ins Detail ausgeklügelten Plot. „Eine perfekte Ehe“ – ein perfekter Thriller! Kimberly McCreight wandelt hier auf den Spuren eines John Grisham. Die Geschichte ist mit Zeitsprüngen und Berichten aufgebaut. Man erfährt, was in der Gegenwart passiert und rückblickend, was Amanda die Tage vor der schicksalsträchtigen Party alles gemacht und erlebt hat. Die Berichte stellen Zeugenbefragungen dar und Ermittlungsergebnisse. „Eine perfekte Ehe“ zeigt auch, dass keine, auch noch so harmonisch erscheinende Ehe, perfekt ist. Ganz und gar nicht! Eine Ehe, egal ob arm oder reich, ist immer ein kleinerer bis größerer Gladiatorenkampf.

Droemer, 543 Seiten; 14,99 Euro

  Johannes Anyuru – Sie werden in den Tränen ihrer Mutter ertrinken

Johannes Anyuru - Sie werden in den Tränen ihrer Mutter ertrinken
Eine Winternacht in Göteborg. Ein Anschlag auf einen Comicshop. Unter den Attentätern: ein junges Mädchen, die das Ganze filmen und später ins Internet stellen soll. Mitten im Angriff kommen ihr Zweifel. Auf einmal ist sie sich sicher, dass falsch ist, was sie tut. Zwei Jahre später, inzwischen untergebracht in der Psychiatrie, bittet sie um ein Treffen mit einem Schriftsteller, dessen Bücher sie gelesen hat. Ihm überreicht sie ein Manuskript, in dem sie eine düstere Zukunftsvision zeichnet. Was aber will sie ihm sagen? Was ist wirklich passiert? Der Schriftsteller macht sich auf die Suche nach Antworten, spricht mit Zeugen und Opfern des Attentats. Es ist die Suche nach Wahrheit, aber auch die Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob man als Muslim noch in Schweden leben kann.
 
Johannes Anyuru gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Schwedens. Sein zweiter Roman „Sie werden in den Tränen ihrer Mutter ertrinken“ war ein Bestseller in Schweden, wird in 14 Ländern erscheinen und die Filmrechte sind auch verkauft. Die Geschichte hört sich auch wahrlich schockierend und aktuell an. Ist sie auf ihre Weise auch, aber Johannes Anyuru experimentiert mit seiner eigentlich starken Story über Terrorismus, Islamophobie und die vorherrschende Gewalt in der schwedischen Gesellschaft herum. Er hat keine klare Erzählstruktur, die Story wirkt unordentlich aufgeschrieben, man tut sich als Leser schwer, die unterschiedlichen Erzählperspektiven ins rechte Licht zu rücken. Die Geschichte ist spannend und erschreckend zugleich, ja, aber in der geschriebenen Form eher eine Blaupause zu einem wirklichen Buch, mehr leider nicht.
 

Luchterhand, 334 Seiten; 22,00 Euro

  Melissa Broder – Muttermilch

Melissa Broder - Muttermilch

Rachel hat Nährwertangaben auf Lebensmitteln zu ihrer Religion erhoben. Doch sie hadert mit sich, vor allem aber hadert sie mit ihrer Mutter, die sich schon immer eine dünne Tochter gewünscht hat. Rachels Therapeutin empfiehlt eine kommunikative Diät: 90 Tage kein Kontakt zur Mutter. Sie willigt ein und begegnet in ihrem Lieblings-Frozen-Yogurt-Laden Miriam, einer jungen orthodoxen Jüdin, die die besten Eisbecher der Stadt kreieren kann. Rachel ist hingerissen von dieser Frau – ihrem Hunger, ihrem zaftig Körper, ihrem Glauben und ihrer Familie und lässt sich ein auf ein Leben voller Gelüste und Lust und Liebe und Spiritualität.

Zählen Sie schon mal die Kalorien, denn für diesen Roman werden Sie es brauchen! Ein Buch, wie ein süßer Joghurt mit einem Megaschuss Karamellsoße und einem Hauch spritziger Zitrone, fehlen darf am Ende nicht ordentlich Pfeffer und Salz! Irrwitzig im Geschmack, genauso wie die „Muttermilch“. Melissa Broder schreibt wunderbar tiefgründig, schwarzhumorig und sexy. Da gibt es dann so Sätze zu lesen wie: „Ich hätte Jace keinen Star genannt. Ein Klebesternchen vielleicht.“ Oder: „Aber wenn ich die Ultra-Ultra-Dünnen beobachtete, vergaß ich dieses Leiden und sah nur, wie sie – umhüllt von der Abwesenheit von Fleisch – vor Urteilen, Verletzungen und Scham geschützt wirkten.“ Oder: „Liebe ist, wenn du Essen im Mund hast, von dem du weißt, dass es dich nicht fett machen wird. Lust ist, wenn du essen im Mund hast, das dich fett machen wird.“ Oder: „Ihre Muschi schmeckte nicht, wie ich gehofft hatte. Ich hatte sie mir moosig, käsig vielleicht ozeanisch vorgestellt. Aber sie schmeckte herb, fast bitter, wie eine Kumquat.“ Nach der Lektüre werden Sie entweder gar nicht mehr aufhören können Ungesundes zu essen oder nie mehr etwas davon anrühren. „Muttermilch“ legt einen literarisch auf die Matte!

Claassen, 330 Seiten; 24,00 Euro

 Thomas Alexander Szlezák – Platon

Thomas Alexander Szlezák - Platon - Copy

Athen 399 v. Chr.: Auf der Stadt lasten immer noch die Schatten des verlorenen Krieges gegen Sparta. In ihrem Ringen um innere Stabilität verkraftet die Öffentlichkeit keinen Provokateur wie Sokrates und verurteilt ihn zu Tode. An dem Tag, da er den Schierlingsbecher trinken muss, verliert Platon seinen Lehrer – eine Erfahrung, die sein Leben und seine Philosophie nachhaltig prägen sollte. Die Geschichte bringt uns nicht nur den Denker, sondern auch den Menschen Platon näher, um so dessen Philosophie besser erschließen und vermitteln zu können. Bei einem Durchgang durch Platons Dialoge und Briefe erhellt sie zentrale Fragen nach Echtheit, Stil und Chronologie des Gesamtwerks. Eine Schlüsselrolle im Verständnis der Erkenntnistheorie Platons und seiner mündlichen Prinzipienlehre kommt dem „Siebten Brief“ zu. Darüber hinaus führt sie detailliert in Platons Denken ein: welche Einflüsse lassen sich in seinem Werk erkennen? Was verstand er eigentlich unter Philosophie? Sind doch davon Platons Menschenbild, seine physische Anthropologie, seine Theorie der Seele und seine Ethik abhängig. Schließlich rückt sie religiöse Charakter der platonischen Philosophie in den Fokus: Ist die Idee des Guten, das „Prinzip von allem“, Platons Gottesbegriff?

Platon (428/27 – 348/47 v. Chr.) ist eine der bedeutendsten Gestalten der Geistesgeschichte. Dieses Werk bietet eine umfassende und grundlegende Einführung in sein Leben, Werk und Denken. Wer Platons Philosophie verstehen, seine überzeitlich wichtigen Fragen an den Menschen begreifen und seinem Weg zum Wahren, Schönen und Guten folgen möchte, der wird an diesem Buch seine helle Freude haben. Mit „Platon – Meisterdenker der Antike“ ist Thomas Alexander Szlezák ein wuchtiges, informatives und absolut erhellendes Werk gelungen! Die Hauptthemen sind: „Umfeld und Herkunft“, „Leben“, „Bestand und Echtheitsfragen“, „Formvielfalt und Stil“, „Zur Chronologie der platonischen Schriften“, „Der platonische Dialog und seine Hermeneutik“, „Das alte Bild vom platonischen Dialog“, „Was aus den Grundtexten hervorgeht“, „Erster Überblick und allgemeine Charakteristik“, „Platons Philosophie der Philosophie“, „Anthropologie. Seelenlehre. Ethik“, „Philosophie der staatlichen Gemeinschaft“, „Kosmologie“, „Die Entdeckung der Idee“, „Theorie der Prinzipien“ und „Die Mythen und die Religion, die Götter und der Gott“.

C. H. Beck, 779 Seiten; 38,00 Euro

   Lothar Frenz – Wer wird überleben?

Lothar Frenz - Wer wird überleben

Lothar Frenz hat bei Expeditionen – etwa in den Regenwald Amazoniens, nach Indonesien und Afrika – viele Aspekte des Artensterbens und der Biodiversitätskrise erlebt. Das Buch zeigt auf, wie vielschichtig die Probleme sind, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen: Wie soll unsere Erde aussehen? Bietet sie genug Platz für die ständig wachsende Menschheit und alle anderen Lebewesen? Wer soll, wer darf mit uns hier leben – und wer nicht? Welchen Planeten wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Dieser durchaus moralischen Frage müssen wir uns stellen. Ökologie aber kennt keine Moral, sagt Frenz, nur Folgen – und die betreffen das gesamte Ökosystem der Erde. Wir müssen also Kriterien entwickeln, um die Überlebensfrage zu entscheiden, die auch längst an uns gestellt ist. Wir brauchen ein neues Selbstbild, damit der Lebensraum Erde für uns Menschen weiterhin eine gute Zukunft bietet.

„Wer wird überleben – Die Zukunft von Natur und Mensch“ ist ein enorm wichtiges Buch, das aufrütteln und zum Handeln bewegen sollte! Denn ohne eine intakte Natur ist der Mensch nichts. Gar nichts! Das begreifen immer mehr Menschen, aber leider noch nicht genug. Die Lektüre hat mich ungemein gefesselt! Die Hauptthemen sind: „Unsere Frontlinien“, „Unser Handwerkszeug“, „Die Wucht der Natur“, „Vom Wert der Natur“, „Unsere Zukunft“ und „Unser neues Selbstbild als Art“.

Rowohlt Berlin, 546 Seiten; 24,00 Euro