Kolumne vom 25.08.2014
Meg Wolitzer
Die Interessanten
Nach dem Tod ihres Vaters will Julie Jacobson raus aus der Tristesse. Das Sommercamp an der Ostküste eröffnet ihr eine neue Welt. Eine Welt der Kunst, Kreativität und Freiheit, verkörpert durch die interessantesten Menschen, denen sie je begegnet ist: Ethan, Jonah, Cathy, Ash und Goodman, fünf junge New Yorker, die Julie ihrer Schlagfertigkeit und ihres schwarzen Humors wegen in ihre privilegierte Clique aufnehmen. Die Jahre und Jahrzehnte vergehen, aber nicht jeder der Gruppe kann aus seinen Begabungen das machen, was er sich als Jugendlicher erträumte …
Was hält das Leben alles für uns bereit? Eine gute Frage. Dieser Roman bietet zahlreiche Antworten. Die amerikanische Autorin Meg Wolitzer hat schon mehrere Romane veröffentlicht. Ihr neuer stand wochenlang auf der Bestsellerliste der New York Times. „Die Interessanten“ sind wahrlich sehr interessant. Schon nach kurzer Zeit haben einen die „Interessanten“ für sich eingenommen, und man möchte wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Wie entwickeln sich ihre gedachten Lebenswege? Wie ihre Freundschaften? Was wird am Ende übrig bleiben von den Vorstellungen? Diese und noch viel mehr Fragen und auch Antworten liefert dieser flüssig geschriebene Roman. Jedes Umblättern wird zum Ereignis.
DuMont, 607 Seiten; 19,99 Euro
Ulrich Wickert
Das marokkanische Mädchen
Richter Ricou muss eine grauenhafte Bluttat aufklären. Drei Menschen werden in einem Wald in der Nähe von Paris in ihrem Auto erschossen aufgefunden. Im Leben von Mohammed, dem Fahrer des Wagens, finden sich mögliche Motive. Aber was ist mit dem Radfahrer, der unweit des Tatorts gefunden wird? Erst sechs Stunden nach der Tat entdeckt die Polizei Kalila, die sechsjährige Tochter, die sich während des Massakers im Kofferraum versteckt hat. Sie könnte zur Aufklärung beitragen, aber sie steht unter Schock. Eine erste Vermutung des Richters führt ihn nach Marrakesch …
Ulrich Wickert, Ex-Tagesthemen-Mann und im neuen Leben Autor, versteht sich auf der Klaviatur des Kriminalromans. Mit seinem Richter Ricou hat er einen in der Krimiliteratur außergewöhnlichen Helden erschaffen. Seine Fälle haben auch immer etwas, was es sonst so nur wenig in dem Genre gibt. Leider hat Wickert von Hochspannung noch nichts gehört. Seine Krimis sind eher gemächlich. So auch sein neuer. Die Geschichte erinnert sehr an einen wahren, spektakulären Kriminalfall, dem des Vierfachmordes auf einem Waldparkplatz in der Nähe von Annecy. Ulrich Wickert hat hier wohl sehr von der Realität geklaut. Trotzdem schafft er es nicht, einen wirklich spannenden Fall zu erzählen, der fesselt. Langeweile kommt öfter auf, als einem lieb ist.
Hoffmann und Campe, 318 Seiten; 19,99 Euro
Stewart O’Nan
Die Chance
Marion und Art Fowler zieht es nochmals zu den Niagarafällen, wohin sie dreißig Jahre zuvor auch ihre Hochzeitsreise geführt hat. In ihrem Gepäck befindet sich ihr gesamtes Barvermögen, denn Art – vor seiner Entlassung Versicherungsmakler – glaubt zu wissen, wie man beim Roulette gewinnen kann. Sie schmuggeln das Geld nach Kanada ein und beziehen in einem Casino eine teure Hochzeitssuite. Es ist ja ohnehin egal. Arbeitslos und verschuldet wie sie sind, haben sie nichts mehr zu verlieren. Ihr Haus muss verkauft werden, ihre Ehe, von Seitensprüngen untergraben, steht vor dem Aus. Also greifen sie nach dem letzten Strohhalm. Sie setzen alles auf eine Karte …
Stewart O’Nan ist einer der modernsten und eingängigsten Literaten von Amerika. Seine Werke, u. .a. „Der Zirkusbrand“, „Abschied von Chautauqua“, zuletzt „Emily, allein“, zeigen seine Vielfältigkeit im Erzählstil und in der Erschaffung seiner Geschichten. Sein neuestes Werk „Die Chance“ setzt diese Tradition fort. Hier geht er dem Innenleben einer Ehe auf die Spur. Was passiert in vielen Jahren Ehe mit dem jeweils anderen? Wie verändert man sich? Wie stumpft man ab? Welche geplatzten Träume gab es? Welche Vorstellungen, die nicht in Erfüllung gegangen sind? Für dieses subtile Ehedrama wählt O’Nan dann auch noch einen Schauplatz, der die Geschichte tosend untermalt. Lassen Sie sich „Die Chance“ nicht entgehen!
Rowohlt, 222 Seiten; 19,95 Euro
Maeve Binchy
Ein Cottage am Meer
Das Stone House ist kein Hotel wie alle anderen, sondern ein Zufluchtsort für Gestrandete und ein Haus, in dem so mancher Neuanfang gewagt wird. Hier kreuzen sich die Wege der unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Anliegen. Das Stone House wird das Leben aller entscheidend verändern …
Der letzte Roman der Königin der romantischen und berührenden Romane Maeve Binchy! Leider verstarb die großartige Autorin 2012. In „Ein Cottage am Meer“ zeigt sie nochmals, was sie ausmacht. Der Roman geht wieder zu Herzen, lässt einen mit den Figuren mitfühlen und schenkt einem Hoffnung. Maeve Binchy, die literarische Welt wird Sie sehr vermissen!
Knaur, 396 Seiten; 19,99 Euro
Kristine Barnett
Der Funke
Jacob Barnett ist anders, das merken die Eltern Kristine und Jack schnell. Er kann mit einem Jahr Dinge, die unglaublich sind. Doch dann wird er immer verschlossener. Die Ärzte malen ein ganz schwarzes Bild für Jacobs Zukunft. Heute ist Jacob 14 und jüngster Astrophysiker der Welt. Der Nobelpreis kann kommen.
Die nach den Regeln der Amish erzogene Kristine Barnett erzählt die Geschichte von ihrem Sohn und von sich in aufwühlenden, mitreißenden und spannenden Momenten. Als Leser wird man in diesem Buch an das Thema Autismus langsam herangeführt. Autismus kann so unterschiedlich sein. Die Lebensgeschichte von Jacob Barnett ist äußerst lesenswert!
Kailash, 320 Seiten, 19,99 Euro
Hörbuch der Woche
Luke Delany
Mein bist du
Detective Inspector Sean Corrigan ist nicht wie andere Cops. Die Schatten seiner eigenen Vergangenheit machen ihn empfänglich für die Dunkelheit anderer – für die Abgründe von verlorenen Seelen, von Vergewaltigern, von Mördern. Das macht ihn zu einem außergewöhnlichen Ermittler. Als ein junger Mann brutal ermordet aufgefunden wird, geht die Polizei zunächst von einer Beziehungstat aus. Corrigan vermutet jedoch schnell, dass viel mehr hinter der Sache steckt. Die Jagd nach einem überaus cleveren Killer beginnt. Einem Killer, der weder Gnade noch Reue kennt ….
„Mein bist du“ ist ein Thriller, der aus der Masse hervorsticht. Die Story verläuft nicht in bekannten Mustern, sondern hält immer wieder Überraschungen parat. Auch die Figuren sind gebrochen und diabolisch gut dargestellt. Luke Delany ist mit „Mein bist du“ ein Thriller-Hit- gelungen! Der Autor schreibt unter Pseudonym. Er war Polizist und hatte verschiedene Stellen des englischen Polizeiapparats durchlaufen. Man merkt dem Roman die fundierte Sachkenntnis an. Gelesen wird dieser Thriller-Hit von dem göttlichen Martin Keßler, der deutschen Stimme von den Hollywoodstars Nicolas Cage und Vin Diesel. Mit dem männlich herben Touch seiner Stimme bringt er jedes Hörbuch auf den Olymp der Hörbücher!
Auch als Taschenbuch erhältlich bei Bastei Lübbe, 9,99 Euro
Lübbe Audio, 6 CDs, 399 Minuten; 10,99 Euro
Denglers-buchkritik.de
Kolumne vom 18.08.2014
Virginia Woolf
Granit und Regenbogen
Die Leichtigkeit, mit der Virginia Woolf sich ihren Themen nähert, gibt ihren Essays einen besonderen Reiz. Mit großer Aufmerksamkeit untersucht die passionierte Leserin Entwicklung und Zustand der erzählenden Literatur ihrer Zeit, die sie selbst in ihren großen Romanen mit neuen Ausdrucksformen entscheidend beeinflusst hat. Darunter u. a. das mehrteilige Essay „Phasen der Romankunst“. Dort teilt sie die Romanliteratur in erfundene Kategorien ein und entwirft eine Welt, „so bewohnbar wie die wirkliche Welt“. Oder auch der Vortrag „Frauen und erzählende Literatur“. Er enthält bereits die Gedanken der berühmten Streitschrift „Ein eigenes Zimmer“, die 1929 erschien und mit der Virginia Woolf später zu einer Symbolfigur der Frauenbewegung wurde.
Virginia Woolf (1882 – 1941) gehört zu den größten Autorinnen der Weltliteratur. Ihre Romane sind Klassiker. Aber Virginia Woolf war auch anders literarisch aktiv. Diese andere Seite zeigt seit Jahren eindrucksvoll der S. Fischer Verlag mit den schön gestalteten Ausgaben der Tagebücher und Essays von Virginia Woolf. In dem vorliegenden Werk widmet sie sich ausführlich dem Roman und der Biographie. Sehr spannend zu lesen, welchen Blick Virginia Woolf vor fast 90 Jahren darauf hatte. Es ist auch noch ein weiterer Band mit Essays erschienen, „Das Totenbett des Kapitäns“ (19,99 Euro). Darin dreht es sich um das Rezensieren von Büchern, sowie zahlreichen anderen spannenden Texten.
S. Fischer, 315 Seiten; 19,99 Euro
Max Landorff
Die schweigenden Frauen
Regler Gabriel Tretjak macht nahezu alles möglich. Für die, die es sich leisten können, regelt er Karriere, Liebe, Geld. Dann wird in sein Berliner Apartment ein Paket geliefert. Zwei eingeschweißte Frauenbeine, abgetrennt an der Hüfte. Mit einem Tattoo, das nur einer so gut kennt wie der Regler selbst: sein Bruder. Zur gleichen Zeit findet in Niederbayern ein Pfarrer einen abgeschnittenen Frauenkopf vor dem Altar. Und in Südfrankreich wartet eine Frau in einem Cape unter einem Kirchturm. Jede Nacht. Seit Jahren …
Max Landorff hat mit seinen Thrillern „Der Regler“ und „Die Stunde des Reglers“ in Deutschland für Furore gesorgt. Er hat dem Genre in Deutschland neue Züge verliehen. Nun liegt der dritte Band „Die schweigenden Frauen“ vor. Und man merkt deutlich einen Verschleiß beim Regler Gabriel Tretjak. Die Story hat nicht mehr die Frische wie in den Vorgängerbänden und auch die langweiligen Stellen häufen sich. Es gibt sehr viel Leerlauf in diesem Band, der das Buch unnötig aufbläht, aber nicht zu einer spannenden Handlung beiträgt. Die Ausgangslage für die Story war gut, aber Max Landorff macht eindeutig zu wenig daraus.
Scherz, 320 Seiten; 14,99 Euro
Owen Matthews
Winterkinder
An einem Mittsommertag im Jahr 1937 küsste Boris Bibikow seine beiden Töchter zum Abschied und verschwand für immer. Eine der beiden, Mila, verliebte sich viele Jahre später, mitten im Moskau des Kalten Krieges, in einen jungen Engländer und beginnt mit ihm eine gefährliche, leidenschaftliche Affäre. Jahrzehnte später trägt ihr Sohn Owen Matthews die Puzzleteile dieser dramatischen Geschichte zusammen: Er möchte wissen, wie sein Großvater den grausamen Säuberungen Stalins zum Opfer fiel. Wie seine Mutter ihre Kindheit in Waisenhäusern überlebte. Und wie Willkür, bittere Armut und ideologischer Fanatismus jahrzehntelang einen ganzen Kontinent beherrschen konnten. Und schließlich: Wie die außergewöhnliche Liebesgeschichte seiner Eltern mitten im Moskau des Kalten Krieges ihr glückliches Ende fand.
Owen Matthews taucht ganz tief in die russische Seele ein. Er zeigt, wie grausam es in dem Land in den letzten 100 Jahren zuging. Er schildert in „Winterkinder“ die aufwühlende Geschichte seiner Großeltern und seiner Eltern. Jeder versucht auf seine Weise in einem Staat zu überleben, in dem jeder Tag sein letzter sein kann. Die Machthaber wie Stalin kennen kein Erbarmen mit ihrem Volk. In den Wirren entwickelt sich aber auch eine schöne und spannende Liebesgeschichte, die so viele unterschiedliche Facetten aufzeigt. „Winterkinder“ ist ein berauschendes Leseabenteuer, das eine echte Geschichte erzählt.
Graf, 392 Seiten; 22,99 Euro
Dan Simmons
Der Berg
1924. Auf der Nordostseite des Mount Everest machen sich die beiden englischen Bergsteiger George Mallory und Andrew Irvine auf den Weg zum Gipfel – und verschwinden für immer. Bis heute weiß man nicht, was mit ihnen geschehen ist. Waren es die Wetterbedingungen? Oder war etwas dort oben bei ihnen auf dem Berg, etwas Tödliches?
Ein wuchtiges Meisterstück aus der Hand des großen Dan Simmons! Nach dem Bestseller „Terror“ lässt er mit „Der Berg“ eine weitere, historische, höchst spannende Geschichte folgen. Man geht selbst mit auf den Berg und erlebt das schier Unglaubliche!
Heyne, 766 Seiten; 24,99 Euro
Brett Forrest
Schattenspiele
Das organisierte Verbrechen hat im Fußball Fuß gefasst. Internationale Syndikate manipulieren die Ergebnisse bis in die höchsten Spielklassen und verdienen mit sicheren Wetten Milliarden. Dieses Buch geht der Wettmanipulation auf die Spur und man erfährt viel Schockierendes.
Praktisch jedes Spiel steht unter Manipulationsverdacht, schreibt Brett Forrest. Das ist sicher übertrieben, aber was im internationalen Fußball läuft, ist erschreckend. Wettskandale wohin man blickt. Und alle sind beteiligt. Dieses Buch gibt einem Einblicke in eine Schattenwelt, in der es düster zugeht. Denn es geht um viele Milliarden Dollar. Nach der Lektüre, wird man manche Spiele mit einem anderen Auge sehen.
Heyne, 285 Seiten; 19,99 Euro
Hörbuch der Woche
Georges Simenon
Maigret – Die besten Fälle
In „Maigret und seine Skrupel“ (1) beschuldigt Monsieur Martand seine Frau Giselle, ihn vergiften zu wollen. Dann stirbt einer der Eheleute. In „Maigret und der gelbe Hund“ (2) kommt es in einem kleinen Küstenstädtchen zu einer Reihe mysteriöser Verbrechen. Und an jedem Tatort taucht ein riesiger Hund auf. Maigret versucht das Machtgefüge den Einheimischen zu durchschauen. In „Maigret und die Bohnenstange“ (3) stößt der Safeknacker Albert bei einem Einbruch auf die Leiche einer jungen Frau. Aus Sorge wendet sich Alberts Frau an Maigret. Doch als er der Sache nachgeht, gibt es dort keine Leiche. Und dann sind noch die beiden Fälle „Maigret und die Groschenschenke“ (4) und „Maigret und die schrecklichen Kinder“ (5) enthalten.
Der Franzose Georges Simenon gehört sicher zu den Kultkrimiautoren der Weltliteratur! Wer einmal einen Maigret gelesen hat, will sie alle lesen. Oder hören wie in diesen, seinen besten Fällen. Darüber kann man streiten, aber zumindest sind es spannende und nostalgische Krimihörspiele. Ein absoluter Genuss, diese zu hören. Den großen Charme machen hier die Stimme von alten Stars wie Paul Dahlke, Klausjürgen Wussow und Hans Clarin aus. Die Hörspiele 1 bis 4 wurden vom Bayerischen Rundfunk produziert. Im Jahre 1961. Fall 5 stammt vom Deutschlandradio aus dem Jahre 1958. Dieses Hörspiel hat weniger Charme als die ersten vier.
DAV, 6 CDs, 303 Minuten; 19,99 Euro
Denglers-buchkritik.de
Kolumne vom 11.08.2014
Max Bentow
Das Hexenmädchen
Der Berliner Kommissar Nils Trojan steht vor einem männlichen Opfer. Es wurde in seiner eigenen Küche auf grausame Weise hingerichtet. Noch bevor Troja ermitteln kann, schlägt der Mörder wieder zu. Trojan hat nicht den geringsten Anhaltspunkt, doch dann verschwindet plötzlich die kleine Sophie, dicht gefolgt von ihrer Freundin Jule, von der ebenfalls jede Spur fehlt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Fällen? Die zwei Fragen gehen Trojan nicht aus dem Kopf: Warum haben die Kinder von einer mysteriösen „Hexe“ gesprochen, die sie in Angst und Schrecken versetzt? Und warum fühlte er sich beim Anblick der Mordopfer fatal an ein bekanntes Kindermärchen erinnert?
Hex, hex, ein Psychothriller, der einen nicht mehr verlässt. „Das Hexenmädchen“ schleicht sich wie ein fieser Virus in den Kopf des Lesers und setzt sich da fest. Max Bentow, einer der Stars der neuen deutschen Psychothriller-Szene, ist wieder ein gemeines und hinterhältiges Werk gelungen. Die Story ist mit zahlreichen Spuren ausgelegt, bleibt aber bis zum Schluss spannend. Beängstigend ist, wie Max Bentow so in die Psyche seiner Killer hineinkriecht, um dann das herauszuholen, was er als Buch niederschreibt.
Auch als Hörbuch erhältlich bei der Hörverlag. Der unverwechselbare „Tatort“-Kommissar Axel Milberg liest auch den vierten Thriller aus der Feder von Max Bentow. Eben unverwechselbar. 19,99 Euro.
Page & Turner, 381 Seiten; 14,99 Euro
Heidi Rehn
Der Sommer der Freiheit
Sommer 1913: Selma, die Tochter eines angesehenen Zeitungsverlegers, fährt mit ihrer Familie wie jedes Jahr in die Sommerfrische nach Baden-Baden. Man genießt das elegante Ambiente, die Konzerte und Bälle. Selma hat gerade das Autofahren gelernt und wartet ungeduldig auf die Ankunft ihres Verlobten Gero. Da lernt sie bei einem Ausflug ins nahe gelegene Elsass den französischen Fotografen Robert kennen – und verliebt sich unsterblich in ihn. Doch wir schreiben das Jahr 1913, und bald wird der Geliebte zu den Feinden zählen …
Ich habe mich sehr auf den Roman gefreut. Endlich mal eine fesselnde Liebesgeschichte um die Zeiten des 1. Weltkrieges. Leider hat mich die Bestsellerautorin Heidi Rehn mit „Der Sommer der Freiheit“ enttäuscht. In diesem Szenario hätte man eine so spannende und abwechslungsreiche Geschichte erzählen können, aber leider passiert das nicht. Heidi Rehn erzählt aufgebläht und langweilig. Die Geschichte tritt oft auf der Stelle. Auch die Figuren haben mich nicht mitgenommen. Bei der Dicke des Romans kaum vorstellbar. „Der Sommer der Freiheit“ fängt zwar gut die Gesellschaft und den Stil der damaligen Zeit ein, aber das reicht nicht für einen guten Roman.
Knaur, 652 Seiten; 9,99 Euro
Diana Gabaldon
Ein Schatten von Verrat und Liebe
Juni 1778. Der totgeglaubte Rebell Jamie Fraser kehrt zurück. Zahlreiche Überraschungen erwarten ihn. Seine Frau hat in der Zwischenzeit seinen besten Freund geheiratet. Claire Fraser bekommt es unterdessen mit einem britischen Herzog zu tun und mit der Angst, dass einer ihrer Ehemänner den anderen umgebracht haben könnte. Im Jahr 1980 hingegen beginnt sich ihre Tochter Brianna zu fragen, ob das Leben im achtzehnten Jahrhundert nicht doch unkomplizierter war als in der Gegenwart. Ihr Mann Roger macht sich auf eine verzweifelte Mission in die Vergangenheit. Und bald sieht auch Brianna nur noch einen Ausweg …
Ein Fest der Erzählkunst! Der neue Gabaldon weiß wieder mit ungeheuerer Fabulierlust und einer breit angelegten Geschichte zu überzeugen. Diana Gabaldon lässt die Jahrhunderte geschickt zusammenlaufen. Die eine große Geschichte wird von vielen faszinierenden kleinen Geschichten getragen. Fast 1.000 Seiten und keine möchte man missen. Diana Gabaldon hat es geschafft, ihre Saga um Jamie und Claire Fraser ein weiteres absolutes Highlight hinzuzufügen. Somit sollten Sie auch den achten Band der Reihe, „Ein Schatten von Verrat und Liebe“, nicht verpassen.
Auch als Hörbuch erhältlich bei Random House Audio. Die geniale Stimme der Daniela Hoffmann (deutsche Stimme von Hollywoodstar Julia Roberts) hat auch den neuen Roman von Diana Gabaldon genial eingelesen. 26,99 Euro. Und Random House Audio legt noch mal einen drauf. Wer nach der ungekürzten Lesung (über 47 Stunden) von „Ein Schatten von Verrat und Liebe“ noch mehr will, der kann sich in „Die Highland-Saga“ mit Band 1 bis 7 in den gekürzten Fassungen noch vertiefen (56 Stunden). 29,99 Euro.
Blanvalet, 982 Seiten; 24,99 Euro
Lyndsay Faye
Der Teufel von New York
New York, 1845. Dem jungen Polizisten Timothy Wilde läuft auf der Straße ein völlig verstörtes Mädchen in die Arme. Sie trägt ein blutdurchtränktes Nachthemd und schweigt. Kurz darauf findet er auf einem entlegenen Gelände 19 vergrabe Kinderleichen. New York gerät ins schlingern …
Was hat sich Lyndsay Faye nur dabei gedacht, solch einen Roman zu schreiben. Er wird Sie packen! „Der Teufel von New York“ ist ein historischer Krimi der durchweg zu überzeugen weiß. Die historischen Hintergründe sind spannend zu lesen, ebenso wie die Kriminalgeschichte und die Figuren, die in einer aufwühlenden Zeit agieren. Und das Beste komm zum Schluss: Das ist erst der erste Fall für die Polizei von New York. Weitere werden folgen.
dtv, 472 Seiten; 15,90 Euro
Verschiedene Autoren
Über den Feldern
Das universelle Panorama der Jahre 1914–1918 beleuchtet menschliche Abgründe, zeigt die Realität des Kriegs und unvermutete Hoffnungs- und Glücksmomente. Das Buch nimmt neben dem Frontgeschehen auch die Nebenkriegsschauplätze ins Visier. Man bekommt einen Blick auf vieles in dieser Zeit.
Ein Buch über den 1. Weltkrieg, das von den anderen die derzeit veröffentlicht werden, absticht. Viele große Autoren der Weltliteratur wie Ernst Hemingway, Marcel Proust, Boris Pasternak, Virginia Woolf, Joseph Conrad, Bertolt Brecht, William Faulkner, Stefan Zweig, Rudyard Kipling, Ford Madox Ford, Franz Kafka, William Somerset Maugham, u. a. erzählen in zahlreichen Geschichten, wie es an der Front und dahinter aussah. Ein literarischer Schatz über die grausame Zeit des 1. Weltkrieges.
Manesse, 784 Seiten; 29,95 Euro
Hörbuch der Woche
Lisbeth Exner und Herbert Kapfer
Verborgene Chronik 1914
Diese Texte geben Einblicke ins Alltags- und Gefühlsleben der Deutschen im Schicksalsjahr. Fast hundert Jahre lang blieben sie in privaten Händen, unveröffentlicht, dann fanden sie den Weg ins Deutsche Tagebucharchiv. Die „Verborgene Chronik 1914“ erzählt von der komplizierten Vorgeschichte bis zur großen Euphorie bei Kriegsbeginn, von den frühen Siegen bis zur ersten Ernüchterung, als sich der Krieg im Westen in den Schützengräben um Somme und Marne und im Osten festfuhr. Stimmen von der Front und aus der Etappe, aus den Schützengräben in Ost und West, von den Weltmeeren, aus dem Hinterland. Von einfachen Soldaten und Offizieren, von Daheimgebliebenen, Müttern, Geliebten und Kindern, Sanitätern, Feldpastoren, Arbeitern in Munitionsfabriken, Ehefrauen.
Authentischer kann man den 1. Weltkrieg in keinem Hörbuch hören. Außer vielleicht „In Stahlgewittern“. Was „Verborgene Chronik 1914“ aber hervorhebt, hier hat man auch viele echte Menschen, die ihre Erlebnisse des Krieges schildern. Die Tagebucheinträge sind in diesem Hörbuch sehr gut aufgebaut. Es folgt eine kleine Textskizze nach der anderen, immer mit den Angaben von wem und wann der Eintrag geschrieben wurde. Diese einzelnen Texte sind von den Herausgebern zu einer großen Geschichte zeitlich hintereinander aufgebaut worden. So hört sich das am Ende wie eine Geschichte an. Was man aus den einzelnen Einträgen hört, jagt einem einen Schauer über den Rücken. Die Grausamkeit des 1. Weltkrieges hört man in jedem Track. Meike Droste und Wolfgang Condrus lesen. Wobei Meike Droste sehr kühl und klar liest. Wolfgang Condrus, der auch den Hollywoodstar Ed Harris (u. a. den deutschen Major König in dem 2.-Weltkrieg-Drama „Enemy at the Gates“ gespielt) spricht, liest auch klar, aber mit mehr Tiefe.
Der Hörverlag, 6 CDs, 462 Minuten; 24,99 Euro
Denglers-buchkritik.de
Kolumne vom 04.08.2014
Erik Axl Sund
Krähenmädchen
Stockholm. Ein Junge wird tot in einem Park gefunden. Sein Körper zeigt Zeichen schwersten Missbrauchs. Und es bleibt nicht bei der einen Leiche. Auf der Suche nach dem Täter bittet Kommissarin Jeanette Kihlberg die Psychologin Sofia Zetterlund um Hilfe, bei der eines der Opfer in Therapie war. Ihr Spezialgebiet sind Menschen mit multiplen Persönlichkeiten. Eine andere Patientin Sofias ist Victoria Bergman, die unter einem schweren Trauma leidet. Sofia lässt der Gedanke nicht los, bei ihr irgendetwas übersehen zu haben. Schließlich müssen sich Jeanette und Sofia fragen: Wie viel Leid kann ein Mensch verkraften, eher er selbst zum Monster wird?
Die gefeierte Thriller-Trilogie aus Schweden! Das Autorenduo Erik Axl Sund haben mit ihrer Victoria-Brgman-Trilogie einen gewaltigen Fußabdruck in der Thriller-Landschaft hinterlassen. Das zeigt schon der erste Band „Krähenmädchen“. Geschickt verwoben, mit ausgefeilten Figuren, die sich durch die Länge der Geschichte voll entfalten können, ohne dabei langweilig zu sein. Das trifft bei Band eins schon zu. Ein finsterer Psychoschocker. Eine Thriller-Trilogie, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt! Weiter geht’s mit „Narbenkind“ und „Schattenschrei“.
Auch als Hörbuch erhältlich bei der Hörverlag. Thomas M. Meinhard liest beängstigend gut! 14,99 Euro.
Goldmann, 459 Seiten; 12,99 Euro
Ismail Kadare
Die Pyramide
Die gewaltige Cheops-Pyramide wird gebaut um die Herrschaft des jungen Pharao zu festigen und jene rebellischen Kräfte zu binden, die aus Überfluss und Wohlleben entstanden waren. Der Autor zeichnet das Bild einer Welt, in der die Zeit nicht in Monaten oder Jahren, sondern in abgezählten Steinen gemessen wird und in den millionenfachen Todesfällen, die durch Transport und Bau verursacht werden. Reale wie eingebildete Verschwörungen gegen dieses monumentale Bauwerk werden unnachsichtig bestraft.
Ismail Kadare ist Albaniens berühmtester Autor. Der vorliegende Roman „Die Pyramide“ erschien erstmals 1992 in Frankreich. Geschrieben von 1988 bis 1992. Vier Jahre geschrieben für ein Stückwerk. „Die Pyramide“ ist ein sehr schmales Buch für ein sehr großes Thema. Das ist sehr schade, da hier viel mehr Geschichte möglich gewesen wäre, als Kadare verfasst hat. Er schreibt teilweise literarisch schön, aber das, was einen fesseln könnte, bleibt auf der Strecke. Kadare handelt das Thema sehr sachlich ab. Das hat dieses große Ereignis nicht verdient. Durch dieses Erzählen kommt auch kaum Spannung auf. Man liest einfach, ohne groß an dem teilzunehmen, was da im Buch passiert.
S. Fischer, 158 Seiten; 19,99 Euro
Michael Moss
Das Salz-Zucker-Fett-Komplott
Die Menschen werden immer dicker. Eine große Mitschuld daran trägt die Lebensmittelindustrie. Sie investiert Milliarden, um die perfekte Mischung an Salz, Zucker, und Fett zu finden, um uns süchtig zu machen. Von der falschen Darstellung der Lebensmittel bis hin zur Präsentation im Supermarkt. Die Masche der Industrie geht auf. Wir konsumieren mehr industrielle Lebensmittel und Fastfood als je zuvor. Die Folgen: Fettleibigkeit, was weitere Krankheiten nach sich zieht. Dazu gehören Diabetes, Bluthochdruck, Arthrose, Brust- und Darmkrebs. Und wenn man es auf die Spitze treiben will, ein früherer Tod. Dieses Buch klärt über die Praktiken der Lebensmittelindustrie auf.
Gibt es groteskere Werbekampagnen als die der Lebensmittelindustrie? Wohl kaum. Hier wird eines ganz groß geschrieben: die Täuschung des Verbrauchers. Die Zuckermafia macht die Menschen rund um den Globus krank und tötet sie. Aber was wäre die Zuckermafia ohne die Lebensmittelkartelle. Sie haben sich die Verbraucher so herangezüchtet, dass sie das essen, was sie anbieten. Egal was drin ist und wie schädlich es ist. Den Verbrauchern helfen gesund zu bleiben? Darauf pfeift die Industrie. Was man in diesem Buch erfährt, lässt einen schaudern. Bevor Sie in den nächsten Supermarkt gehen, lesen Sie erst dieses Buch. Sie werden dann gleich 90 % der Produkte dort garantiert nicht mehr in Ihren Einkaufswagen legen. Denn wer will sich schon selbst krankmachen und am Ende töten? „Das Salz-Zucker-Fett-Komplott“ liest sich wie ein Thriller über die Lebensmittelhersteller und ihre Praktiken.
Ludwig, 624 Seiten; 19,99 Euro
Zoë Ferraris
Wüstenblut
Ein Beduine hat in der saudi-arabischen Wüste in einem Grab 19 Frauenleichen entdeckt. Ibrahim Zahrami von der Mordkommission Dschidda muss den Fall klären. Hat ein Serienmörder über Jahre unbemerkt sein Unwesen getrieben? Auch privat hat Zahrami Probleme: Seine Geliebte ist spurlos verschwunden …
Ein Kriminalroman in einem ganz anderen Umfeld, als man das sonst so kennt. Alleine das macht den Krimi schon zu etwas besonderem. Aber auch weil die Amerikanerin spannend und intelligent zu erzählen weiß. Zudem erfährt man noch viel über Kultur und Bräuche einer dem Westen eher unbekannte Welt. Rundum gelungen!
Pendo, 379 Seiten; 19,99 Euro
Janet Evanovich
Kuss Hawaii
Von Hawaii nach New Jersey, vom erhofften Traum- zum Albtraumurlaub. Stephanie Plum saß auf dem Heimflug neben einem Mann, der mittlerweile tot ist. Ermordet. Stephanie hat ein Problem, das FBI sowie eine Menge zwielichtiger Gestalten sind hinter einem Foto her, das das Opfer bei sich trug. Und nur Stephanie weiß wo das Bild ist.
Wer sich wieder einige Stunden herrlich amüsieren will, der sollte zum neuen Roman von Janet Evanovich greifen! Stephanie Plum erlebt wieder irrwitzige Situationen in einem clever konstruierten Fall. „Kuss Hawaii“, der 18. Band der Reihe, darf in keiner Stephanie-Plum-Sammlung fehlen.
Manhattan, 334 Seiten; 14,99 Euro
Hörbuch der Woche
Anja Jonuleit
Der Apfelsammler
Nach der Trennung von ihrem Freund reist Hannah nach Castelnuovo in Umbrien, um das Erbe ihrer geliebten Tante Eli anzutreten: ein kleines Steinhaus voller Rätsel. Beim Aufräumen fallen ihr alte Briefe in die Hände, die von Elis Jungend erzählen. Hannah erkundet Castelnuovo, Elis zweite Heimat. Als sie zufällig auf ein Grundstück mit seltsam verbrannten Obstbäumen gelangt, wird sie unsanft von dort vertrieben. Dorfbewohner erklären ihr später, dass der schroffe Fremde harmlos, und seine Leidenschaft das Züchten alter Obstsorten sei. Eli hatte sich einst mit dem „Apfelsammler“ angefreundet, und auch Hannah sucht seine Nähe. Ist er der Schlüssel zu Elis Geheimnis?
Die deutsche Autorin ist mittlerweile bekannt für außergewöhnlich gute deutsche Romane, die immer auch eine außergewöhnliche Geschichte bieten. Dazu zählen „Herbstvergessene“ und „Die fremde Tochter“. Nun ist ihr neuer Roman erschienen. „Der Apfelsammler“ ist eine fesselnde Familien- und Liebesgeschichte! Aber es enthält noch einen Hauptdarsteller: Italien. Den Charme und den Duft dieses Landes fängt Anja Jonuleit sehr gut ein. Und so ist man von vielem gefesselt. Von Hannahs und Elis Geschichte, von Italien, der Zeit, in der Teile des Romans spielen, und den Apfelbäumen natürlich. Berauschend schön gelesen von Marion Martienzen und Maja Schöne. Sie geben den beiden Frauenfiguren eine eindringliche stimmliche Präsenz.
Auch als Paperback erhältlich bei dtv, 14,90 Euro.
DAV, 6 CDs, 464 Minuten; 19,99 Euro
Denglers-buchkritik.de