BuchKolumne 16.01.2023 Nr. 752
Prinz Harry – Reserve
Péter Nádas – Schauergeschichten
Svea Lenz – Die Stewardessen – Bis zum Horizont
Celeste Ng – Unsere verschwundenen Herzen
Frank Goldammer – Die Verbrechen der Anderen
Prinz Harry – Reserve
Es war eines der berührendsten Bilder des 20. Jahrhunderts: Zwei Jungen, zwei Prinzen, die hinter dem Sarg ihrer Mutter gehen, während die Welt voller Trauer und Entsetzen zusieht. Beim Begräbnis von Prinzessin Diana fragten sich Milliarden von Menschen, was die Prinzen in diesem Moment dachten und fühlten – und welchen Verlauf ihr Leben von diesem Augenblick an wohl nehmen würde. Für Harry ist jetzt der Moment gekommen, endlich seine Geschichte zu erzählen.
Das aufsehenerregendste Buch des Jahres! Zumindest wenn es nach medialer Aufmerksamkeit und weltweiten Auflagenzahlen geht. Und das gleich zu Beginn des Jahres. Die Autobiographie des – noch jungen – Prinz Harry. Wenn man gemein – oder auch Realist – sein möchte, der Prinz Harry, der nun unbedingt ganz schnell ganz viel Geld verdienen will. Erst die Netflix-Serie nun sein Buch. Auch wenn gewisse Medien reißerisch auf gewisse Aussagen des Buches ganz, man entschuldige mir diesen Ausdruck, geil sind, wollte ich doch vollkommen unvoreingenommen auf Harrys Geschichte zugehen. Und es hat sich, wenn man das Negative zuvor genannte ausblendet, durchaus gelohnt. Eine spannende und sehr emotionale Autobiographie! Jede Seite bietet neue Einblicke in Harrys Gefühlswelt und zeigt seine Sicht auf die Windsors und bietet viele Erlebnisse seines alten und neuen Lebens. Für viele wird es wohl im letzten Drittel des Buches am interessantesten, denn dort schildert Harry seine erste Begegnung mit Megan. Er schreibt dazu: „Noch nie hatte ich so einen schönen Menschen gesehen … Sie war Amerikanerin, ich war Brite. Sie war gebildet, ich ganz und gar nicht. Sie war frei wie ein Vogel, ich lebte im goldenen Käfig.“ Und dann erzählt er weiter von der Entwicklung seiner Beziehung zu Megan und seinem Bruch mit dem Königshaus. Harrys Leben ist von einer Sache geprägt, die dem Buch auch seinen Titel gibt: „Reserve“ (OT: Spare). Dazu heißt es im Buch: „Zwei Jahre älter als ich, war Willy nun mal der Thronfolger, der „Heir“, während ich der sogenannte „Spare“ war, der Ersatzmann, die Reserve. Ich war der Schattenmann, die Stütze, der Plan B. Ich wurde geboren für den Fall, das Willy etwas zustieß. Ich sollte ihm Ablenkung und Zerstreuung verschaffen, und wenn nötig, ein Ersatzteil. Womöglich eine Niere. Eine Bluttransfusion. Eine Portion Knochenmark. All das wurde mir schon zu Beginn meines Lebensweges glasklar zu verstehen gegeben und auch später regelmäßig aufgefrischt.“ Nun, dieses Trauma des Ersatzmanns hat Harry mit diesem Buch abgestreift, er ist nun der, der als Erster seine Sicht der Wahrheit erzählt. Aus dem Ersatzmann ist nun der tonangebende Offensivspieler geworden.
Penguin, 503 Seiten; 26,00 Euro
Péter Nádas – Schauergeschichten
Péter Nádas’ neuer Roman ist ein unerwartetes Geschenk. Sprachgewaltig und vielstimmig erzählt er das Leben eines Dorfes am Fluss mit all seinen Bewohnern: Da sind die großen Bauern wie die Tagelöhner, der Priester und der evangelische Pfarrer, ein geistig behindertes Mädchen, eine junge Mutter, der Schäfer des Dorfes, der Lehrer, eine Frau, die Jahrzehnte zuvor unwiderruflich in Schande geriet, ein vom Teufel besessener Bäcker, dazu entwurzelte Aristokraten und Grandes Dames auf Landpartie. Ein Panoptikum von Figuren, getrieben von Missgunst und Bosheit. Und um die Menschen des Dorfes herum: Gespenster.
Péter Nádas gehört weltweit zu den größten Literaten! Seine Bücher sind überbordende literarische Schatzkisten. Daher darf man sich glücklich schätzen, einen neuen Roman von Péter Nádas in Händen halten zu dürfen. Genau so ging es mir bei „Schauergeschichten“. Endlich wieder ein Roman von Péter Nádas! Es war für mich kaum vorstellbar, dass mich der ungarische Literat enttäuschen würde, aber das ist tatsächlich geschehen „Schauergeschichten“ sind über weite Strecken wahrlich sehr schaurig zu lesen, aber nicht wegen dem Spuck-Effekt, sondern wegen der kruden literarischen Erzählweise und der wenig gut konzipierten Geschichte. Wie hatte das einem Péter Nádas nur passieren können? Vielleicht ist der Titel schon eine leichte Vorwarnung an die LeserInnen, was sie im Buch erwarten wird.
Rowohlt, 575 Seiten; 30,00 Euro
Auch als Hardcover erschienen ist „Schreiben als Beruf“ bei Rowohlt. Für Péter-Nádas-Fans kann dieses schmale Büchlein auch keine große Entschädigung für die „Schauergeschichten“ bieten. „Schreiben als Beruf“ enthält die kurze Texte, die nicht gerade überragend sind. 18,00 Euro.
Svea Lenz – Die Stewardessen – Bis zum Horizont
Hamburg 1957. Als Stewardess hat Margot Frei die halbe Welt bereist, doch ihre Familie missbilligt dieses unabhängige Leben zutiefst. Die Lufthansa wiederum legt großen Wert darauf, dass alle Flugbegleiterinnen ungebunden bleiben, und spätestens mit der Eheschließung endet jede Karriere. Als für Margot alles auf dem Spiel steht, bekommt sie die einmalige Chance, für die legendäre Fluggesellschaft Pan Am zu arbeiten. Doch auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist nicht alles Gold, was glänzt. Margot steht vor einer schweren Entscheidung: Ist sie bereit, alles hinter sich zu lassen – auch den Piloten, an dem ihr Herz noch immer hängt?
Hinter dem Pseudonym Svea Lenz verbirgt sich die erfolgreiche Autorin Nicole C. Vosseler. Die Autorin nimmt sich einer Zeit an, die sich derzeit auf dem Lesemarkt großer Beliebtheit erfreut. Die 1950er Jahre in Deutschland, die Wirtschaftswunderzeit. Bei den mittlerweile vielen Büchern auf dem Markt ist es gar nicht mehr so einfach, ein neues Feld zu erschließen. Svea Lenz gelingt es mit den Stewardessen der Lufthansa und der aufregenden Zeit der Personenflüge nach dem 2. Weltkrieg. Nach „Die Stewardessen – Eine neue Freiheit“ ist nun der zweite Band „Bis zum Horizont“ erschienen. Margots Weg weiterzuverfolgen, bereitete mir viel Lesefreude. Mit ihr blickt man auf diese so aufregende wie auch immer noch entbehrungsreiche Zeit. Mir hat der Ausflug in die 1950er Jahre auf dieser und der anderen Seite des großen Teichs sehr gut gefallen. Svea Lenz bzw. Nicole C. Vosseler steht für spannende und abwechslungsreiche Unterhaltungsromane! Das stellt sie auch mit ihrer „Stewardessen“-Reihe unter Beweis.
Goldmann, 506 Seiten; 15,00 Euro
Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in Harvard. Seit einem Jahrzehnt wird ihr Leben von Gesetzen bestimmt, die nach Jahren der wirtschaftlichen Instabilität und Gewalt die „amerikanische Kultur“ bewahren sollen. Vor allem asiatisch aussehende Menschen werden diskriminiert, ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Als Bird einen Brief von seiner Mutter erhält, macht er sich auf die Suche. Er muss verstehen, warum sie ihn verlassen hat. Seine Reise führt ihn zu den Geschichten seiner Kindheit, in Büchereien, die der Hort des Widerstands sind, und zu seiner Mutter. Die Hoffnung auf ein besseres Leben scheint möglich.
Die amerikanische Bestsellerautorin Celeste Ng hat mich mit ihren Romanen „Was ich euch nicht erzählte“ und „Kleine Feuer überall“ begeistert! Nun liegt ihr neuestes Werk „Unsere verschwundenen Herzen“ vor. Eine berührende, mitreißende und erschütternde Geschichte! Ein Roman, eine Dystopie, die immer mehr in unser Hier und Jetzt vordringt. Wichtige Fragen werden behandelt, die die Gesellschaft in den USA, aber auch weltweit beschäftigen. Sie drücken sich in diesem Drama in unser Gedächtnis und bohren darin herum. „Unser verschwundenes Herzen“ – ein Titel mit Symbolkraft!
dtv, 397 Seiten; 25,00 Euro
Frank Goldammer – Die Verbrechen der Anderen
Im kalt-stürmischen Februar 1990 wird in Dresden ein junger Mann, ein ehemaliger Grenzsoldat, als vermisst gemeldet. Zeitgleich ermittelt das KDD-Team um Tobias Falck, Edgar Schmidt und Stefanie Bach in einem Fall von Kunstraub. In der Dresdner Galerie der Alten Meister ist ein wertvolles Gemälde durch eine Fälschung ersetzt worden. Kurz darauf wird der Fälscher ermordet. Handelt es sich womöglich um alte Stasi-Machenschaften? Die westdeutsche Ex-Kommissarin Sybille Suderberg, die inzwischen Privatdetektivin im Osten ist, spielt dabei eine undurchsichtige Rolle. Ihretwegen kommen die Dresdner Polizisten zu einer Dienstreise in den unbekannten Westen, die sie in das karnevalstrunkene Köln, aber auch in eine gefährliche Falle führt.
Frank Goldammer wurde vom Geheimtipp zum großartigen Bestseller-Autor! Seine Kriminalromane haben geschichtlichen Bezug mit dementsprechend durchschlagendem Personal und sorgen bei den LeserInnen für mächtig viel spannende Momente. Berühmt hat ihn die Krimi-Reihe um Ermittler Max Heller gemacht. Anfang 2022 hat er mit dem „Kriminaldauerdienst: Team Ost-West“ eine neue Reihe gestartet. Und was für eine! Sie vereint alles, was man von Frank Goldammer kennt. Er führt uns zurück in eine für Deutschland so wichtige und bewegende Zeit – dem Ende der DDR und dem, was alles folgte. „Die Verbrechen der Anderen“ ist nicht weniger spannend als der Vorgänger „Im Schatten der Wende“.
dtv, 399 Seiten; 16,95 Euro