BuchKolumne 13.03.2023 Nr. 760
André Hille – Jahreszeit der Steine
Reinhard Kleindl – Das Gotteselixier
Matteo Strukul – Das Erbe der sieben Familien
Tom Mustill – Die Sprache der Wale
Rhiannon Lambert – Ernährung
André Hille – Jahreszeit der Steine
Ein allzu frühes Erwachen im dörflichen zuhause, der kleine Sohn des Ich-Erzählers liegt quer im Bett zwischen den Eltern – die tägliche Routine setzt ein, aber eine Spannung liegt in der Luft, das Paar mit seinen drei kleinen Kindern schweigt sich an, im Laufe des Tages baut sich immer mehr Druck auf, der sich einfach entladen muss. Doch wohin wird das führen? Ein einziger Tag von morgens bis Mitternacht wird es zeigen. Ein Tag voller Arbeit, Erledigungen, Kontakten, Auseinandersetzungen, Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Ein Tag voller Anspannung. Mit seinen Höhen und Tiefen, Ereignissen und Begegnungen, den Bildern und Überlegungen, die hervorgerufen werden. Konfrontiert mit den Wünschen und Eigenheiten der Kinder, erinnert sich der Erzähler an seine eigene, schwierige Kindheit im Osten, fragt sich, was es heißt, ein guter Vater zu sein und woher die Konflikte mit seiner Frau Levje rühren.
André Hille gehört zu den aufstrebenden literarischen Genies in unserem Land! Schon sein erster Roman im Jahr 2020 „Das Rauschen der Nacht“ habe ich mit Begeisterung gelesen. Damals schrieb ich: „Bewegend, nüchtern, ehrlich – dass ganz normale Leben fesselnd erzählt!“ Nun folgt sein zweiter Roman „Jahreszeit der Steine“. Mit klarem und geübtem Blick wirft er gekonnte Blicke auf das Leben eines Familienvaters, einer Familie. Mit den vielen Fallstricken, Konfliktpotenzial, das irgendwie immer in der Luft liegt. Er blickt auch immer wieder auf sein Leben zurück. Mit so ehrlichen und klugen Einlassungen, wie diese, über seine Schulzeit (die wohl viele von uns aus der eigenen kennen dürften): „Was waren meine Strategien, um zu überleben? Leistung. Beobachten. Sich raushalten. Nie auffallen. Keine Widerworte. Sich seinen Teil denken. Im Zweifel nicht zurückschlagen. Andere abschreiben lassen. Klassenbester sein. Sich durch Einfühlungsvermögen interessant für Mädchen machen.“ Doch trotzdem wurde er zum Opfer auserkoren. „Schule hieß, Strategien des Überlebens auszubilden.“ Nur eine von vielen guten Lebensbeobachtungen in diesem Buch. Wer es schafft, einen Tag eines Vaters, einer Familie so abwechslungsreich und emotional spannend zu gestalten, dem gebührt großes Lob. Wenn André Hille so weitermacht, kann er ein deutscher Richard Yates werden. Der Amerikaner ist der literarische King unter den Ehe- und Beziehungsroman-Autoren.
C. H. Beck, 337 Seiten; 25,00 Euro
Reinhard Kleindl – Das Gotteselixier
Als der einflussreiche Kardinal Pabil tot aufgefunden wird, ist die Verwunderung bei allen Beteiligten groß. Denn der Körper des 90jährigen Geistlichen wirkt wie der eines jungen, gesunden Mannes. Bischof Stefano Lombardi, der vom Vatikan auf den Fall angesetzt wird, glaubt nicht an ein Wunder. Hat Pabil möglicherweise ein medizinisches Mittel gegen das Altern gefunden? Wenn so ein Mittel existierte, wäre Unsterblichkeit keine Utopie mehr. Gemeinsam mit der Physikerin Samira Amirpour versucht Lombardi herauszufinden, was wirklich mit dem Kardinal passiert ist, und gerät dabei in Lebensgefahr. Denn es gibt eine Person, die alles tun würde, um zu verhindern, dass die Medizin Gott ersetzt.
Ich verfolge die Autorenkarriere des Österreichers Reinhard Kleindl schon seit einigen Jahren. Mit den beiden Thrillern „Stein“ und „Die Klamm“ konnte er mich überzeugen. Im letzten Jahr hat er dann das Genre im Genre gewechselt und ist zu Vatikan-Thrillern übergegangen. Rund um die Kirche, den Vatikan kann man viele spannende Geschichten erzählen. Der erste Band um Bischof Stefano Lombardi und die Physikerin Samira Amirpour „Die Gottesmaschine“ konnte mich nicht so recht überzeugen. Also eine zweite Chance mit dem nun zweiten Lombardi-Amirpour-Band „Das Gotteselixier“. Die Idee fand ich besser, als die des ersten Bandes, aber die Umsetzung hat auch so ihre Schwächen. Die Story hat gute Ansätze, aber sie konnte mich nicht durchgehend packen. Die Spannung lodert oft so vor sich hin, wie ein leise knisterndes Kaminfeuer im Bischofssitz. Reinhard Kleindl wechselt wohl schnell zwischen den einzelnen Figuren hin und her, was eigentlich ein gutes Spannungsmittel ist, aber es passiert zu wenig Packendes in den Kapiteln. Immer wenn Bischof Stefano Lombardi auftaucht, haben die Kapitel mehr Pfiff, aber die machen nur gut die Hälfte des Buches aus. Trotzdem möchte ich der Reihe noch eine weitere Chance geben, vielleicht gelingt Reinhard Kleindl in einem dritten Band mehr Lombardi-Power.
Lübbe, 443 Seiten; 12,00 Euro
Matteo Strukul – Das Erbe der sieben Familien
1494 regiert auf der italienischen Halbinsel das Chaos. Während das Volk von Florenz in den Bann des Mönchs Savonarola gerät und Piero de’ Medici aus der Stadt jagt, betreibt in Rom der Borgia-Papst Alexander VI. eine korrupte Vetternwirtschaft und vergnügt sich schamlos mit seinen Mätressen. Unterdessen verbündet sich der Mailänder Ludovico Sforza mit dem französischen König und ermöglicht es ihm, die Alpen zu überqueren und in Italien einzumarschieren. Krankheit, Unterdrückung und Blutvergießen sind die Folge. Doch dann regt sich unter den Italienern mutiger Widerstand gegen die Knechtschaft der Anjou.
Der Italiener Matteo Strukul schreibt historische Romane mit hohem Suchtpotenzial! In Deutschland feierte er Erfolge mit seiner 4-teiligen „Medici“-Reihe. Im letzten Jahr startete er eine neue Reihe. „Die Macht der sieben Familien“ machte den Anfang. Vorwiegende geht es darum, dass im Italien der Renaissance große Familiendynastien um die Macht kämpfen. Aber ein Matteo Strukul wäre nicht ein Matteo Strukul, wenn er nicht noch viel mehr zu bieten hätte. Nun Band zwei „Das Erbe der sieben Familien“. Die Fortsetzung knüpft an die Qualität des Vorgängers an. „Das Erbe der sieben Familien“ ist eine süchtig machende Netflix-Serie in Buchform! Es passiert so viel, schnelle Szenenwechsel, Machthunger, Intrigen, Kämpfe und Schlachten, Liebesgeflüster und Verrat, es kracht und knistert an allen Ecken und Enden. Matteo Strukul in Bestform!
Goldmann, 699 Seiten; 16,00 Euro
Der Kommunikationssinn der Wale ist extrem ausgeprägt: Ihr vielfältiger Gesang entwickelt sich wie Sprache ständig weiter. Dank neuester Technologie gibt es inzwischen Möglichkeiten, Walgeräusche auch in entlegensten Gewässern aufzuzeichnen, mit künstlicher Intelligenz auszuwerten und Muster zu entdecken, die kein menschliches Ohr wahrnehmen würde. Doch das ist erst der Anfang. Das Buch zeigt, dass sich tatsächlich eine Revolution in der Tierkommunikation anbahnt – und was das für unsere Welt bedeuten könnte.
Filmemacher Tom Mustill ist fasziniert – von Walen. Zuvor musste er aber erst Dramatisches erleben. Er überlebte nur knapp den Zusammenstoß mit einem Buckelwal – das Video, wie dieser direkt vor ihm in die Höhe schießt und auf seinem Kajak landet, ging viral. Daraufhin besuchte er WissenschaftlerInnen und ExpertInnen auf der ganzen Welt, sammelte unzählige Geschichten über Begegnungen zwischen Menschen und Wal und erkennt: Wir beginnen gerade erst, diese hochintelligenten Meeressäuger zu erforschen und zu verstehen. Was sich nach und nach daraus erwachsen könnte, könnte bahnbrechend sein. „Die Sprache der Wale – Eine Reise in die Welt der Tierkommunikation“ ist ein ganz wunderbares Buch! Für Forscher, Tierfreunde, und für die, die Faszinierendes und Neues kennenlernen möchten. Tom Mustill hat ganze Arbeit geleistet! Die Hauptkapitel sind: „Eröffnung. Verfolg von einem Wal“, „Ein Gesang im Ozean“, „Das Gesetz der Zunge“, „Die Joy der Wale“, „Was können Walgehirne uns über ihren Verstand verraten?“, „Die Suche nach einer Sprach der Tiere“, „In den Tiefen des Gehirns: Wal-Kulturverein“, „Das Meer hat Ohren“, „Tierische Algorithmen“, „Maschinen der liebenden Gnade“, „Anthropoleugnung“ und „Mit Walen tanzen“, in dem es darum geht, ob wir in Zukunft mit den Walen sprechen können. „Die Sprache der Wale“ – eine berauschende Lese-Reise!
Rowohlt, 399 Seiten; 24,00 Euro
Rhiannon Lambert – Ernährung
Kaum ein Thema spielt so eine große Rolle im Alltag wie unsere Ernährung. Und zu kaum einem Thema kursieren mehr überholte Ansichten, Mythen, Halbwahrheiten und irreführenden Versprechungen. Dieses Buch möchte Abhilfe schaffen und beantwortet über 100 Ernährungsfragen rund um Vitamine, Proteine, Fett, Diäten, Stoffwechsel und Co. und führt die Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Studien zusammen.
Rhiannon Lambert ist eine der führenden Ernährungswissenschaftlerinnen Großbritanniens, dazu Bestsellerautorin, erfolgreiche Podcasterin und sie vertreibt mit ihrem Unternehmen Nahrungsergänzungsmittel. Also eine Frau, die von der Materie viel Ahnung hat. Und diese lässt sie in dieses Buch einfließen. Sind Fette so schlecht wie ihr Ruf? Kann bestimmtes Essen Demenz vorbeugen? Und wie vertrauenswürdig sind die Versprechen der Lebensmittelindustrie? Ganz egal, ob man sich einfach nur gesund ernähren möchte, versucht, die sportliche Leistung zu steigern, oder aus Gründen der Nachhaltigkeit auf eine vegane Ernährung umsteigt – im leicht verständlichen Frage-Antwort-Stil beantwortet Rhiannon Lambert mehr als 100 Fragen. Die Antworten stützen sich auf den aktuellen Stand der Forschung und die langjährige Praxiserfahrung der Autorin. Das Buch ist sehr schön und edel aufgemacht, klar strukturiert und es hilft bei vielen Fragen rund um die gesamte Ernährung. Ein Buch mit einem großen Mehrwert für Ihre Gesundheit! Die Hauptkapitel sind: „Was ist Ernährung“, „Wie können wir uns gut ernähren?“, „Brauche ich eine Diät?“, „Sollte ich mich pflanzenbasiert ernähren?“, „Macht richtiges Essen gesünder?“, „Wie beeinflusst Ernährung die Entwicklung von Kindern?“ und „Wie wirkt Ernährung auf die Psyche?“.
Dorling Kindersley, 224 Seiten; 24,95 Euro