November 23, 2024

Kolumne 11.12.2023 Nr. 799

 

      BuchKolumne 11.12.2023 Nr. 799

Rita Falk – Steckerlfischfiasko
Inger-Maria Mahlke – Unsereins
Sabine Ebert – Der Silberbaum – Die siebente Tugend
Sergej Lebedew – Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit
Jelena Kostjutschenko – Das Land, das ich liebe

 Rita Falk – Steckerlfischfiasko

Wegen dem Golfclub ist Niederkaltenkirchen eh schon gespalten wie ein Holzscheit, aber jetzt liegt auch noch der Steckerlfischkönig höchstselbst und mausetot in der clubeigenen Spa-Landschaft. Der Franz ermittelt unter dubiosen Volksfestclans und golfenden Schickimickiarschlöchern, während seine Susi ganz andere Pläne hat: Sie kandidiert als Bürgermeisterin, was beim aktuellen Dorfoberhaupt hochgradig nervöse Zuckungen auslöst.

Niederkaltenkirchen ist das New York Niederbayerns! Und in diesem Moloch aus Wirtshaus, Metzgerei und Golfclub muss der Sheriff wieder für Gerechtigkeit sorgen: der Eberhofer Franz. „Steckerlfischfiasko“ ist nach „Rehragout-Rendezvous“ der 12. Fall für den Kult-Ermittler. Und wieder geht es lustig und zünftig zu in Niederkaltenkirchen und darüber hinaus. Der Eberhofer, der Birkenberger, die Susi & Co. sind wieder voll im Einsatz und zeigen den anderen, was eine Harke ist. Rita Falks Stil spricht in der Krimi-Literatur weiter eine ganz eigene Sprache!

dtv, 285 Seiten; 18,00 Euro

   Inger-Maria Mahlke – Unsereins

Eine Lübecker Familie, protestantisch, konservativ, kaisertreu: die Lindhorsts. 1890 kommt Marthe in dem weitläufigen Patrizierhaus in der Königstraße zur Welt. Um sie eine Schar älterer Brüder, deren Freiheiten nicht ihre sein werden. Und doch ist es ein Leben mit glänzenden Aussichten. Bis ein Bestsellerroman, verfasst vom Sohn eines verstorbenen Bekannten, den respektablen Lindhorsts klarmacht, dass sie für ihr Umfeld auch nach zwei Generationen noch immer „die Jüdischen“ sind.
 
Inger-Maria Mahlke hat mit „Archipel“ 2018 den Deutschen Buchpreis gewonnen. Das Feuilleton hat sie mit diesem Roman beglückt, die LeserInnen waren da oft ganz anderer Meinung. Nun folgt ihr neuer Roman, ein historischer Roman, der sich richtig gut anhört. „Unsereins“ ist vor allem ein Roman über Lübeck (oder einfach die Stadt) ihrer Gesellschaft, ihrer Bürger und Lohndiener, der Handwerker und, vor allem, ihrer Frauen. Ob Dienstmädchen, Hausfrau, Weißnäherin oder Schriftstellerin. Das kann ich dem Verlag nur zustimmen. Und die Geschichte ist mächtig und satt machend. Eindeutig ein Pluspunkt. Ein großer historischer Gesellschaftsroman! Durchaus, aber trotzdem hat der Roman überhaupt nichts mit den großartigen historischen Romanen einer Iny Lorentz oder einer Sabine Ebert gemein. Dort wird detailreiche Historie mit sehr spannenden Geschichten verknüpft, davon ist Inger-Maria Mahlke sehr weit entfernt. Es ist ein literarisch-historischer Roman, der eine gewisse Schwere und Trägheit in sich trägt.
 

Rowohlt, 493 Seiten; 26,00 Euro

  Sabine Ebert – Der Silberbaum – Die siebente Tugend

Sabine Ebert - Der Silberbaum – Die siebente Tugend

Er war der vielleicht strahlendste Fürst seiner Zeit, ein Förderer der Städte, Minnedichter und Ausrichter glänzender Turniere: Heinrich der Erlauchte, Markgraf von Meißen und Landgraf von Thüringen. Doch zu Beginn der Geschichte ist ungewiss, ob er die Herrschaft je antreten wird. Sein Vater stirbt, als Heinrich drei Jahre ist. Sein Oheim Ludwig von Thüringen, der gerade die ungarische Königstochter Elisabeth geheiratet hat, wird sein Vormund. Bewahrt er dem Neffen das Erbe oder will er es an sich reißen? In ihrer Not ruft die Markgräfinwitwe Jutta Lukas aus Freiberg zu sich. Ihn hatte sie einst vom Hof geschickt, denn seine Stieftochter Clara war die große Liebe ihres Mannes. Lukas schart Getreue um sich und ruft Marthes ältesten Sohn Thomas aus dem Heiligen Land nach Meißen. Marthes Enkelin Änne verschlägt es derweil nach Thüringen, wo sie verstörende Begegnungen mit der später heiliggesprochene Elisabeth und deren erbarmungslosem Beichtvater hat, dem fanatischen Kreuzzugsprediger und Ketzerverfolger Konrad von Marburg.

Sabine Ebert hat mit ihren historischen Romanen Geschichte geschrieben! Sie erzählt Geschichte so spannend und leicht, das aus historischen Stoffen, die schwer erscheinen, fesselnde Romane werden. Zuletzt ist ihr mit ihrer „Schwert-und-Krone“-Saga ein historischer Meilenstein gelungen. Und Sabine Ebert macht sich auf, diesen mit ihrer neuen Reihe fortzusetzen. Die „Silberbaum“-Reihe reiht sich nahtlos ein in die großartigen Werke der Autorin. Von Anfang an war ich gefesselt, wie oben geschrieben, von der Leichtigkeit diesen historischen Stoff so spannend zu vermitteln. „Der Silberbaum – Die siebente Tugend“ ist mit einem Personal besetzt, das sehr ausdrucksstark und einprägend ist. Ein historischer Roman, der funkelt wie Silber in der Sonne!

Knaur, 493 Seiten; 24,00 Euro

Auch als Hörbuch erhältlich bei Argon Hörbuch. Gabriele Blum liefert wie gewohnt eine souveräne Lesung ab! 22,00 Euro

Sabine Ebert – Der Silberbaum – Die siebente Tugend – Hörprobe 3:31 Min.

   Sergej Lebedew – Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit

Sergej Lebedew - Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit2

Wenn man sich den Verbrechen der Vergangenheit nicht stellt, kehren sie in Gestalt von Gespenstern wieder. Auch die sowjetische und postsowjetische Zeit erzeugt mit ihren verdrängten Verbrechen fortwährend neue Ungeheuer. Sergej Lebedew folgt in seinen Erzählungen dem vergifteten Erbe der Sowjetunion und seinen unheimlichen Spuren in der Gegenwart: von Tschetschenien bis zur Ukraine, von Katyn bis Berlin. Ein leeres Gebäude oder Gelände, ein Rauschen in der Telefonleitung können dabei zu Auslösern der Erinnerung werden.

Der in Moskau geborene Sergej Lebedew hat zuletzt mit „Das perfekte Gift“ einen spannenden Roman vorgelegt. Nun geht er wieder auf Spurensuche in seiner russischen Heimat, die derzeit keine mehr ist. Der Journalist und Autor Sergej Lebedew lebt in diesen Zeiten des Sturms in Potsdam. In den Erzählungen „Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit ziehen die Schatten der Vergangenheit ruhelos umher, und die Toten rufen fortwährend nach Gerechtigkeit. Sergej Lebedew lässt in seinen Erzählungen die alte Sowjetunion und seine Menschen wieder lebendig werden. Die guten und die schlechten. Die Erzählungen haben eine Klarheit und Präzision, die einen immer weiter den „Gespenstern der Vergangenheit“ folgen lassen.

S. Fischer, 300 Seiten; 25,00 Euro

  Jelena Kostjutschenko – Das Land, das ich liebe

Jelena Kostjutschenko - Das Land, das ich liebe

Jelena Kostjutschenko berichtet von der Annexion der Krim, dem Krieg im Donbass und aus dem belagerten ukrainischen Mykolajiw. Sie erzählt vom Leben eines queeren Paares im russischen Hinterland, besucht obdachlose Kinder, die sich in der Ruine eines verlassenen Krankenhauses in Moskau eingerichtet haben, begleitet eine 24-Stunden-Schicht in einem Moskauer Polizeirevier und verschafft sich Zutritt zu einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten geschlossenen Heim für psychisch Kranke. Sie erzählt auch sehr persönliche Geschichten von sich und ihren Erfahrungen als junge, lesbische Frau, als LGBTQ-Aktivistin und als Reporterin der Nowaja Gaseta, die die Ermordung von vier Kolleginnen und Kollegen miterlebt hat.

Aus ihren zahlreichen Reportagen der letzten fünfzehn Jahre hat Jelena Kostjutschenko dreizehn für dieses Buch ausgewählt. Sie verbindet sie mit autobiografischen Essays, entstanden seit dem Überfall auf die Ukraine 2022, zu einem Bericht über ihr Heimatland, das sich zu einem zunehmend autoritären, homophoben Staat entwickelt. Im März 2022 überquerte Jelena Kostjutschenko als Reporterin für Russlands wichtigste unabhängige Zeitung, die Nowaja Gaseta, die Grenze zur Ukraine, um über den Krieg zu berichten. Ihre Mission: dafür zu sorgen, dass die Russinnen und Russen von den Gräueltaten erfuhren, die Putin in ihrem Namen beging. Das war’s für sie in Russland, dort droht ihr eine lange Haftstrafe, daher lebt sie nun auch im Exil. Mit „Das Land, das ich lieb“ lässt sie einen tief in das Herz Russlands blicken. Eines Russlands, das Machthaber Putin so gar nicht sehen will. Für ihn zählt anderes. Ehrlich, schockierend, aufwühlend, nachdenklich machend. Ein Buch über das heutige Russland, wie man es selten zu lesen bekommt!

Penguin, 412 Seiten; 26,00 Euro