BuchKolumne 10.05.2021 Nr. 664
Susanne Abel – Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe
Philipp Lahm – Das Spiel
Katharina Fuchs – Lebenssekunden
Alec MacGillis – Ausgeliefert
Beat Sterchi – Capricho
Susanne Abel – Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe
Der bekannte Kölner Nachrichtenmoderator Tom Monderath macht sich Sorgen um seine 84-jährige Mutter Greta, die immer mehr vergisst. Was anfangs ärgerlich für sein scheinbar so perfektes Leben ist, wird unerwartet zu einem Geschenk. Nach und nach erzählt Greta aus ihrem Leben – von ihrer Kindheit in Ostpreußen, der Flucht vor den russischen Soldaten im eisigen Winter, der Sehnsucht nach dem verschollenen Vater und ihren Erfolgen auf dem Schwarzmarkt in Heidelberg. Als Tom jedoch auf das Foto eines kleinen Mädchens mit dunkler Haut stößt, verstummt Greta. Zum ersten Mal beginnt Tom, sich eingehender mit der Vergangenheit seiner Mutter zu befassen. Nicht nur, um endlich ihre Traurigkeit zu verstehen. Es geht auch um sein eigenes Glück.
Susanne Abel gelingt mit „Stay Away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe“ ein Kunststück! Sie erschafft Charaktere, die von der ersten Seite an sofort eine besondere Magie erzeugen. Greta als Senioren, Greta als Kind, Greta als junge Frau, den Weg von Greta zeichnet Susanne Abel in einer kristallklaren Sprache nach. Susanne Abel erzählt die Geschichte in zwei Erzählsträngen, der eine beginnt 2015, der andere 1942. Geschickt verbindet sie das Flüchtlingsdrama, dass sich 2015 in Europa abspielte, mit dem, dass sich ebenso nach dem 2. Weltkrieg abgespielt hat, als nicht Syrer und Iraker Hilfe brauchten, sondern Deutsche. Ein Blick zurück in die Geschichte ist immer wichtig und verpflichtet einen zu Demut. Doch Gretas Leben geht weiter und sie wächst zur jungen Frau heran und verliert ihr Herz an Bob, den großen dunkelhäutigen GI. Hitler, den sie als Kind ganz toll fand, verschwindet nach und nach aus ihrem Kopf und sie wird ein Wirbelwind, der sie im Alter dann auch noch zu sein scheint. Und „Stay away from Gretchen“ ist noch so viel mehr. Eine Geschichte über die „Brown Babys“, wie sie damals genannt wurden. Kinder, die von deutschen jungen Frauen mit dunkelhäutigen US-GIs gezeugt wurden. Und was das im damaligen Umfeld verursachte. Ausgrenzung der Mütter und Kinder. Großes Leid entstand, wegen dem Druck der öffentlichen Meinung. Eine Geschichte, die berührt, zu Herzen geht und aufrüttelt. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle ist garantiert!
dtv, 527 Seiten; 20,00 Euro
Philipp Lahm – Das Spiel
C. H Beck, 272 Seiten; 19,95 Euro
Katharina Fuchs – Lebenssekunden
Der große Traum von Angelika Stein scheint geplatzt, als sie mit 15 von der Schule fliegt: Kein Fotograf in Kassel will einem Mädchen, noch dazu ohne Schulabschluss, eine Lehrstelle geben. Doch Angelika gibt nicht auf – und bekommt schließlich eine Chance von einem Fotografen, der vor Kurzem aus der DDR gekommen ist. Zur selben Zeit wird in Ostberlin die junge Leistungsturnerin Christine Magold darauf gedrillt, die DDR bei den Olympischen Spielen zu vertreten. Doch ist das wirklich ihr Traum? Beim Bau der Berliner Mauer 1961 treffen die beiden jungen Frauen unter dramatischen Umständen aufeinander.
Katharina Fuchs hat mich mit ihren Romanen „Zwei Handvoll Leben“ und „Neuleben“ begeistert. Daher war ich sehr gespannt auf ihren neuen Roman „Lebenssekunden“. Und Katharina Fuchs macht genau da weiter, wo sie mit ihren beiden anderen Romanen aufgehört hat. Sie erzählt wieder auf faszinierende Art eine eingängige Geschichte von starken Frauen, die im Nachkriegsdeutschland, im Wirtschaftswunderland der 1950er Jahre ihren Weg gehen. Auf unwiderstehliche Weise! Die Lebenswege von Angelika und Christine sind spannend und abwechslungsreich gestaltet. Langeweile kommt da nie auf. Die Seiten fliegen nur so dahin. Die „Lebenssekunden“ sind am Ende viel zu schnell vergangen! Zum Schluss erfährt man in der „Nachlese“ was aus der echten Angelika Stein und Christine Magold nach 1961 geworden ist.
Droemer, 411 Seiten; 20,00 Euro
Großkonzern wie Amazon treiben die Spaltung Amerikas voran. Amazon sorgt dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter öffnet, während immer weniger Menschen zu den Gewinnern gehören. In monopolartigen Verhältnissen akkumuliert Amazon immer mehr Reichtum und Macht und Jeff Bezos, schon jetzt der reichste Mann der Welt, profitiert weiter von der wachsenden Ungleichheit.
In einer 10 Jahre umspannenden investigativen Recherche, die ihn von Washington nach Seattle, nach San Francisco, Baltimore und Ohio führte, hat Alec MacGillis die Einzelschicksale, die Amazon prägt, zu einem Porträt der amerikanischen Gesellschaft verwoben. Er war in Columbus, Ohio, wo Amazon Steuern erlassen werden, obwohl der Warenhausbetreiber den Durchschnittslohn in der Region senkt. Und er war in Seattle, wo das gigantische Amazon Headquarter die Lebenskosten in die Höhe treibt und die einst pulsierende Black Community nahezu gänzlich verdrängt hat. „Ausgeliefert – Amerika im Griff von Amazon“ ist ein Gesellschaftsporträt der USA und seiner technologischen Großkonzerne – Amazon ist das führende Beispiel hierfür. Ein Buch, das einen sprachlos zurücklässt! Die Hauptthemen sind: „Gemeinschaft – Die hyperreiche Stadt“, „Pappkarton – Abstiegsmobilität in der amerikanischen Mittelschicht“, „Sicherheit – Der Wohlstand der Hauptstadt einer Nation“, „Würde – Der Wandel der Arbeit“, „Service – Der Kampf um das lokale Geschäft“, „Strom – Unter der Cloud“, „Zuflucht – Steuern und Spende“, „Isolation – Die Krise des kleinstädtischen Amerikas“ und „Zustellung – Nähe und Distanz“.
S. Fischer, 448 Seiten; 26,00 Euro
Beat Sterchi – Capricho
Ein Autor fährt wie jedes Jahr in sein einfaches Sommerhaus in einem verfallenden spanischen Dorf, dem letzten am Ende der Landstraße. Die Geschichte genau dieses Dorfes will er niederschreiben, doch fehlen ihm die Worte. Stattdessen beginnt er, seinen „Huerto“, den Garten, zu bestellen, und kommt dabei mit den Nachbarn samt deren Geschichten und Tipps, vor allem aber mit sich selbst und der Natur ins Gespräch.
Dem Schweizer Autor Beat Sterchi ist mit „Capricho – Ein Sommer in meinem Garten“ weit mehr als „nur“ ein Garten-Buch gelungen. Ein Buch des Friedens und des Glücks! Im Kleinen kann für einen etwas ganz Großes entstehen. Das vermittelt dieses Buch. Natürlich haben die Gartenaktivitäten des Autors Vorrang, und das ist auch gut so, denn er erlebt in seinem Garten viel Spannendes, aber er sieht auch über den Tellerrand hinaus und gewährt Einblicke ins Leben und in tiefere Gedanken.
Diogenes, 272 Seiten; 24,00 Euro