Kolumne vom 18.12.2017 – Nr.487
Peter James
Dein Tod wird kommen
Als die junge und attraktive Logan Somerville in die Tiefgarage ihres Apartmenthauses in Brighton fährt, sieht sie nur eine schemenhafte Gestalt. Ein Mann sei da unten, berichtet sie ihrem Verlobten Jamie Ball voller Panik am Telefon. Es folgt ein Schrei. Danach ist die Leitung tot. Nur wenige Minuten später ist die Polizei vor Ort. Logans Auto ist da, ihr Handy im Wagen. Doch von Logan keine Spur. Kurze Zeit später taucht bei einem Londoner Psychiater ein Mann auf, der behauptet, er habe Informationen über Logan. Liegt hier der Schlüssel für die Aufklärung einer ganzen Serie von Mordfällen, fragt sich DSI Roy Grace.
Wer hätte 2005 gedacht, als Roy Grace in dem genialen Thriller „Stirb ewig“ das Licht der Literaturwelt erblickte, dass daraus eine so megaerfolgreiche Reihe werden würde. Über 18 Millionen Exemplare haben sich davon mittlerweile weltweit verkauft. In „Dein Tod wird kommen“ muss Detective Superintendent Roy Grace bereits seinen 11. Fall lösen. 111 Kapitel Hochspannung! Das verspricht „Dein Tod wird kommen“. In atemberaubender Geschwindigkeit peitscht Peter James den Leser durch die gut aufgebaute und durchdachte Story. Er verliert dabei nie den Leser aus dem Blick, denn er hält die Spannung konstant hoch. Wie man es von Peter James’ Serienhelden gewohnt ist, bekommt man auch im elften Buch wieder einiges Private von Roy Grace geboten. Dessen Privatleben hält auch zahlreiche spannende Momente bereit. Aber auch hier schreibt Peter James immer mit Blick auf den Leser gerichtet. Er streut das Private immer geschickt ein, ohne es in der Länge zu übertreiben. Das ist die hohe Schule der Thrillerkunst. Bravo!
Scherz, 443 Seiten; 16,99 Euro
Julie Estéve
Lola
Lola zieht auf High Heels, in Minirock und Netzstrümpfen durch Paris. Sie sucht Sex – und findet ihn. Sex als Mittel zum Vergessen. Als Lola acht Jahre alt war, starb ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall, Lola wurde aus einer idyllischen Kindheit gerissen und hat diesen Verlust nie überwunden. Sex als Mittel gegen den Schmerz. Sex aber auch als Kampfansage an die Doppelmoral der feinen Franzosen. Für Frauen wie Lola gibt es keinen Platz in der feinen französischen Gesellschaft, und dafür rächt sie sich. Ob Schuster, Geschäftsführer oder Kritiker, sie bekommt sie alle. Und sie erniedrigt sie alle, denn ihre Wut ist groß.
Wie schon letzte Woche hatte ich mich auch auf diesen Roman, wieder von einer jungen französischen Autorin, sehr gefreut. Doch leider hielt die Beschreibung der Geschichte nicht das ein, was man sich von ihr versprach. Der, der in dem Roman viel Sex erwartet wird enttäuscht, genauso wie der, der erwartet, das um den wenigen Sex eine spannende Geschichte herumgeschrieben wird. Nach anfänglichem Schwung verfiel das Buch schnell in Belanglosigkeiten und öden Beschreibungen. Das Knistern, die Spannung sucht man immer mehr vergebens. Lola wiederum ist ein Abbild eines gewissen Frauentyps von heute. Vielleicht findet sich manche Leserin darin wieder. „Lola“ ist der Debütroman von Julie Estève, der in der feministischen literarischen Tradition von Virginie Despentes und Elfriede Jelinek stehen soll, schreibt der Verlag. Er schreibt auch: Es ist ein aufmüpfiges Buch über Erotik, Sex, und eine Frau, die in kein Schema passt. Das hört sich alles spannend an, trifft aber auf dieses Buch nicht zu.
Rowohlt, 157 Seiten; 19,95 Euro
Kathrin Werner
Liebesglück
Die große Liebe. Die eine, magische, die ganz große Liebe, für die man lebt und sterben würde, die alles bedeutet, die allem einen letzten Sinn verleiht. Die größte Kraft im Universum, wenn es sein muss gegen die widrigsten Umstände. Die Liebe, von der jeder Mensch träumt, von der die größten und schönsten Filme und Bücher erzählen. Es gibt sie. Es gibt sie wirklich, die ganz großen Liebesgeschichten dieser Welt.
Die Autorin erzählte von zwanzig sehr unterschiedlichen Liebesgeschichten aus der ganzen Welt und mitten aus dem Leben. Sie zeigt darin, wie einzigartig, verrückt, dramatisch und bewegend jede einzelne Liebesgeschichte ist. „Liebesglück“ zeigt auch, wie das Schicksal mit uns spielt. Jede Liebegeschichte ist wie ein Spiel am Rouletttisch. Man weiß nie, wann die Zahl, die Liebe deines Lebens, kommt. In „Liebesglück“ sammeln sich die Liebesgeschichten von Zwanzigjährigen und auch Paaren, die über neunzig sind. Kathrin Werner gibt uns so gleichzeitig auch einen Blick über die Jahrzehnte, und wie sich die Welt, und auch die Liebe, zumindest etwas, verändert hat. Eine Liebesgeschichte in den 1940ern oder auch 1990er ist eine andere als heute.
Krüger, 287 Seiten; 14,99 Euro
Madeleine Thien
Sag nicht, wir hätten gar nichts
Marie lebt mit ihrer Mutter in Kanada und versteht nicht, warum ihr Vater nach China zurückgekehrt ist. Als sie zehn Jahre alt war, haben sie einen Gast bei sich aufgenommen, die junge Ai-ming, die nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens aus Peking geflohen ist. Marie ahnte bald, dass sie eine gemeinsame Geschichte haben, und nun versucht sie, Licht ins Dunkel der Vergangenheit zu bringen.
Madeleine Thien, Kanadierin mit asiatischen Wurzeln, hat ein Familieepos von großer Wucht und Eleganz geschrieben! Man lernt die Geschichte Chinas der letzten 70 Jahre kennen und bekommt aufschlussreiche Ereignisse dargeboten, die einen das Land und seine Menschen, die Kultur, das Drama, die Entwicklung, die Politik, einfach sehr vieles besser verstehen lassen. „Sag nicht, wir hätten gar nichts“ gibt einem als Leser sehr viel – und das über 600 Seiten lang!
Luchterhand, 656 Seiten; 24,00 Euro
Ángel Santiesteban
Wölfe in der Nacht
Die Geschichten in diesem Buch erzählen von einem anderen Kuba, fern der Postkartenidylle und des scheinbar so karibisch-leichten Lebensflairs. Unbeirrbar erhebt der Autor seine Stimme gegen Willkür und Unterdrückung. Seine Erzählungen sind durchwebt von eigenen Erfahrungen, ihr Spektrum reicht von phantastisch bis zu erschütternd real: Da verschwindet eine Figur aus ihrem Roman, um der Zensur zu entgehen; eine hungrige Meute Männer zieht im Dunkel der Nacht los, um das Fleisch toter Rinder zu stehlen; inmitten einer ausgelassenen Feier suchen einen Soldaten Erinnerungen an den Angola-Krieg heim.
Dieses Buch und seine Geschichten sind ein literarischer Schatz! Literatur aus Kuba, eine Seltenheit. Gute Literatur aus Kuba, auf dem deutschen Mark kaum zu bekommen. Der S. Fischer Verlag hat das geändert, in dem er „Wölfe in der Nacht“ (16 Geschichten aus Kuba) des Kubaners Àngel Santiesteban veröffentlicht hat. Der regimekritische Autor wurde wegen seiner Haltung zu einer Haftstrafe verurteilt und ist nur auf Intervention des ehemaligen Bundesaußenministers Steinmeier auf Bewährung frei. Ángel Santiesteban darf in Kuba aber nicht mehr publizieren. Die Geschichte um den Autor ist nicht weniger spannend als seine Geschichten aus einem uns fast fremden Land.
S. Fischer, 271 Seiten; 22,00 Euro
Hörbuch der Woche
David Lagercrantz nach Stieg Larsson
Verfolgung
Im Frauengefängnis Flodberga herrscht ein strenges Regiment. Alle hören auf das Kommando von Benito Andersson, der unangefochtenen Anführerin der Insassinnen. Lisbeth Salander, die eine kurze Strafe absitzt, versucht den Kontakt zu vermeiden, doch als ihre Zellennachbarin gemobbt wird, geht sie dazwischen und gerät ins Visier von Benitos Gang. Unterdessen hat Holger Palmgren, Lisbeth Salanders langjähriger Mentor, Unterlagen zutage gefördert, die neues Licht auf Salanders Kindheit und ihren Missbrauch durch die Behörden werfen. Salander bittet Mikael Blomkvist, sie bei der Recherche zu unterstützen. Die Spuren führen sie zu Leo Mannheimer, ein Finanzanalyst aus sehr wohlhabendem Hause. Was hat dieser mit Lisbeth Salanders Vergangenheit zu tun?
Nach „Verschwörung“ ist „Verfolgung“ nun der zweite Thriller den der schwedische Autor David Lagercrantz nach den Motiven von dem viel zu früh verstorbenen Stieg Larsson geschrieben hat, und es ist der fünfte Teil der „Millennium“-Saga. Der erste Teil der Geschichte hat was von „Wentworth“ dem sensationellen Serienhighlight aus Australien. Dort dreht sich alles um ein Frauengefängnis. So auch gehäuft in „Verfolgung“, wo Lisbeth Salander im Gefängnis sitzt und es trotzdem schafft, auch von dort Fäden zu ziehen und Ärger anzuziehen. Aber der Hintergrund der Story ist dann doch viel größer. David Lagercrantz schreibt die Geschichte von Lisbeth Salander und Mikal Blomkvist engagiert, fesselnd und überraschend fort! Das trifft auch auf sein neues Werk „Verfolgung“ zu. Wunderbar gelesen! Wer ist dann wohl der Hörbuchsprecher? Dietmar Wunder, die deutsche Stimme von 007 Daniel Craig. Hörprobe
Random House Audio, 2 MP3 CDs, 640 Minuten; 22,99 Euro
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