BuchKolumne 07.02.2022 Nr. 703
Emma Brodie – Das Songbuch unserer Liebe
Ronja von Rönne – Ende in Sicht
Ruth Ware – Das Chalet
Liao Yiwu – Wuhan
Carsten Steenbergen – Florance Bell und die Melodie der Maschinen
Emma Brodie – Das Songbuch unserer Liebe
Jane Quinn hat schon immer Musik gemacht, doch dem Business steht sie kritisch gegenüber. Das Schicksal ihrer Mutter ist ihr eine Warnung: Als junge Frau wurde die begnadete Liedermacherin auf furchtbare Weise ausgebeutet. Dabei sind die Quinn-Frauen seit Generationen selbstbewusst und unabhängig. Nach einem Konzert wird Jane 1969 von Folkstar Jesse Reid entdeckt. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit und heimliche große Liebe beginnt. Jesses Starpower zieht Jane ins Rampenlicht, verstört erkennt sie, dass sie nur als Freundin statt als ernsthafte Musikerin gesehen wird. Welche Kompromisse muss sie für die Liebe eingehen, wann beginnt die Selbstaufgabe? Jane steht vor der Frage, die sich nicht nur Künstlerinnen stellt: Was ist sie für ihren Traum bereit zu opfern?
„Das Songbuch unserer Liebe“ verbreitet das Feeling des Hollywood-Blockbusters „A Star is Born“ mit Bradley Cooper und Lady Gaga. Was dort Jackson und Ally waren sind hier Jess und Jane. Dazu spielt die Geschichte in einer historisch pulsierenden Zeit, Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Emma Brodie spielt die richtigen Noten und ist immer im Takt, wenn sie von der Liebesgeschichte von Jane und Jess und von der Musik schreibt. Dabei erweckt sie die beiden Hauptfiguren spielerisch zum Leben. Jane, die sich mit ihrer teils forschen Art manchmal selbst im Weg steht und sich einiges verbaut im Leben, und Jess, der große Star, der er eigentlich so gar nicht sein will und der mit seinen eigenen Dämonen kämpft. Aber: Spätestens nach dem letzten Kapitel möchte man dieses Buch ganz fest umarmen und gar nicht mehr loslassen. „Das Songbuch unserer Liebe“ ist als Buch ein echter Chartstürmer!
List, 428 Seiten; 22,99 Euro
Ronja von Rönne – Ende in Sicht
Hella, 69, will sterben. In der Schweiz, in einem Krankenhaus. Also macht sie sich auf den Weg. Diese letzte Fahrt wird ihr alter Passat schon noch schaffen. Doch kaum auf der Autobahn, fällt etwas Schweres auf die Motorhaube ihres Wagens. Juli, 15, wollte sich von der Autobahnbrücke in den Tod stürzen. Jetzt ist sie nur leicht verletzt – und steigt zu Hella ins Auto. Zwei Frauen mit dem Wunsch zu sterben – doch wollen sie zusammen noch, was ihnen einzeln als letzte Möglichkeit erschien?
Ronja von Rönnes Buch schlägt hohe Wellen. „Ende in Sicht“ ist bereits ein Bestseller und hat viele LeserInnen gefunden, die die Geschichte sehr gut finden, aber ebenso viele finde das Buch einfach nur schlecht. Ich gehöre zur zweiten Gruppe. Das Thema des Buchs ist unheimlich wichtig, aber wie Ronja von Rönnes es verarbeitet ist mangelhaft. Sie versucht verzweifelt literarisch Fuß zu fassen und vergisst dabei, wie man eine gute Geschichte erzählt. Mich hat ihr Erzählen wenig angesprochen. Genauso wenig haben mich die Hauptfiguren berührt. Und das ist eigentlich immer, aber vor allem bei dieser Art von Geschichten, zwingend erforderlich. Ronja von Rönne schreibt skizzenhaft, es liest sich, als ab sie einen Einkaufszettel abarbeitet, aber nicht wie eine Geschichte, die einen total mitreißt.
dtv, 253 Seiten; 22,00 Euro
Ruth Ware – Das Chalet
Ein Luxus-Chalet in den französischen Alpen mitten im tiefsten Winter. Die Mitarbeiter eines erfolgreichen Social-Media-Start-ups haben sich hier eingemietet, um über das Übernahmeangebot eines großen Unternehmens zu diskutieren. Die Stimmung ist angespannt. Alle hier haben etwas zu verlieren. Und manche viel zu gewinnen. Dann beginnt das Grauen: Ein Mitglied der Gruppe nach dem anderen wird ermordet oder verschwindet. Nach einem Lawinenabgang ist das Chalet von der Außenwelt abgeschnitten, es gibt keinen Handyempfang. Der Killer muss einer der Gäste sein.
Die Engländerin Ruth Ware ist eine der aufregendsten Stimmen der Thriller-Literatur! In den letzten Jahren lieferte sie einen Bestseller nach dem anderen ab. Nicht alle Bücher von ihr konnten mich begeistern, ihr neues gehört nicht dazu. Mit „Das Chalet“ hat sie mich, wie mit einigen anderen auch, sofort gekriegt. Das Thema in „Das Chalet“ ist seit Agatha Christie hunderte Male beschrieben worden. Eine Gruppe, abgeschnitten von der Zivilisation, und ein Mörder geht um. Doch Ruth Ware boostert das Thema in „Das Chalet“ auf moderne Art. Die Köpfe eines App-Start-Ups werden sozusagen geköpft. Was die Story Besonders macht, ist vor allem das Setting. Eis und Schnee, wohin das Auge reicht. Neben den Hauptfiguren, spielt das Setting eine ebenso wichtige Hauptrolle. „Das Chalet“ bietet eiskalte Spannung mit prägnanten Charakteren und einem tollen Setting!
dtv, 410 Seiten; 16,95 Euro
Gleich nach dem Ausbruch des Corona-Virus reist der Bürgerjournalist Li in das Epizentrum der Katastrophe. „Weil er keine Angst vor Gespenstern hat“, so die Stellenanzeige, findet er einen Job im Krematorium. Schnell begreift er, dass die offiziellen Opferzahlen nicht stimmen. Doch der kurze Augenblick, in dem er glaubt, die Wahrheit sagen zu dürfen, vergeht über Nacht: Er wird entdeckt, verfolgt und dokumentiert im Internet live, wie er brutal verhaftet wird.
Zwei Jahre ist es nun her, als Wuhan zuerst etwas belächelt, dann zum Mittelpunkt der Welt wurde. Von dort breitete sie sich aus, die Pandemie, die die Welt für immer verändert hat. Und unser Leben, unseren Alltag und die Welt auch heute immer noch in Atem hält. Ein Buch, das zu den Anfängen zurückkehrt. Es zeigt das China, das viele westlichen Länder verteufeln. Ein China, dass nur eine Wahrheit zulässt, die der Partei. „Wuhan“ ist ein Dokumentarroman, ein Buch mit großer Sprengkraft! Einige der Hauptkapitel sind: „Eine zwangsgeschlossene Stadt“, „„Mit dem französischen Virengefängnis fing alles an“, „Wer isst Fledermäuse?“, „Die Wahrheit starb mit Li Wenliang“, „Alltag in der Isolation“, „Der Infizierte ohne Symptome“, „Durch menschenleere Gegenden“, „Das Virus verlässt das Land“, „Wissenschaftler gegen Verschwörungstheorien“ und „Die Volksrepublik China verschwindet“.
S. Fischer, 352 Seiten; 24,00 Euro
Carsten Steenbergen – Florance Bell und die Melodie der Maschinen
1820: Napoleon hält England besetzt. Die 15-jährige Florance arbeitet als talentierte rechte Hand des Meistermechanikers eines maschinenverrückten Earls. Doch als dessen Anwesen plötzlich von Luftschiff-Rebellen überfallen wird, stehlen sie nicht nur den Prototypen einer revolutionären Erfindung, sondern auch die in dessen Maschinenraum unfreiwillig gefangene Florance. Von nun an als Rebellin gejagt, findet sich Florance mit einem Mal in einer Verschwörung wieder, die sie niemals für möglich gehalten hätte./p>
„Florance Bell und die Melodie der Maschinen“ ist ein großer und fantastischer Abenteuerroman mit einer anziehenden Heldin! Carsten Steenbergen ist damit ein starkes Stück gelungen. Die alternative Welt, die er erschaffen hat, steckt voller Überraschungen und die LeserInnen können zusammen mit der Heldin viel entdecken und BegleiterIn des großen Abenteuers werden.
Ueberreuter, 376 Seiten; 17,95 Euro