Dezember 22, 2024

Kolumne 03.05.2021 Nr. 663

BuchKolumne 03.05.2021 Nr. 663

Alice Vincent –  Großstadtgewächs
Sarah Hall – Die Töchter des Nordens
Sebastian Lehmann
Das hatte ich mir grüner vorgestellt
Alan Mikhail
Gottes Schatten – Sultan Selim und die Geburt der modernen Welt
Anke Petersen
Salz im Wind – Der Kaffeegarten 1

Alice Vincent – Großstadtgewächs

Alice Vincent - Großstadtgewächs

Alice Vincents Leben scheint perfekt. Mit Anfang zwanzig arbeitet sie in ihrem Traumjob und lebt zusammen mit ihrem Freund in London. In der alltäglichen Hektik fühlt sie sich aber zunehmend einsam und entwurzelt. Schließlich geht auch ihre Beziehung in die Brüche. In dieser Sinnkrise erinnert sie sich zurück an ihre Kindheit, an die Freiheit, die sie beim Rumtollen auf Feldwiesen verspürt hat, und an die Ruhe und Geborgenheit im Garten ihres Großvaters. Kurzerhand beginnt Alice, Topfpflanzen und Weinreben auf ihrem kleinen Balkon zu pflanzen und mehr und mehr über Botanik zu lesen. Mit jeder neuen Knospe und jedem neuen Blütenblatt beginnt sie, sich wieder lebendiger zu fühlen.

Die junge Engländerin Alice Vincent trifft mit „Großstadtgewächs“ den Nerv der Zeit! Ein Buch, das weit über das Gärtnern im Kleinen hinausgeht. Alice Vincent erzählt von ihrer gescheiterten Beziehung und wie sie nach über fünf Jahren mit ihrem Freund nun plötzlich wieder zu sich selbst finden musste. Sie berichtet von der Generation, die in den 1990igern geboren ist, und die als erste Generation den Umschwung von analogen Medien zum Internet voll miterlebt hat. Von einer Generation, die nun in den 20igern, den schönen Schein im Internet nach außen transportieren muss, die mit der Person im echten Leben aber oft nicht so viel gemein hat. Vom Leben in London und den komplizierten Arbeits- und Wohnverhältnissen dort, vom Suchen und Finden nach neuen Zielen und Wünschen im Leben. Was ist wichtig, was zuvor unwichtig war? Was ist unwichtig, was zuvor so unendlich wichtig war? Ein Buch, in dem man viel über das Leben der Pflanzen und über das Leben an sich erfährt. Eine Bibel für die Millennials!

Goldmann, 446 Seiten; 20,00 Euro

Sarah Hall – Die Töchter des Nordens

Sarah Hall - Die Töchter des Nordens
England, in einer unbestimmten Zukunft: Umweltkatastrophen und Wirtschaftskrisen haben das alte politische System hinweggefegt. Diktatorisch regiert, leben die Menschen in städtischen Zentren, die Einwohnerinnen dürfen nur in Ausnahmefällen Kinder bekommen. Eine junge Frau, die sich „Schwester“ nennt, entflieht den Kontrollen und schließt sich einer legendären Gruppe weiblicher Abtrünniger an, die in den Bergen des Lake District eine einsame Farm bewirtschaften. Unter Führung der charismatischen Jackie hat sich die Gemeinschaft immer stärker radikalisiert. Gewalt und militärischer Drill bestimmen inzwischen den Ton. Auch Schwester scheint bereit, Jackies Kampf gegen das verhasste System mitzutragen. Als Jackie den Krieg ausruft, muss sie sich entscheiden.
 
„Eines der besten Bücher des Jahrzehnts“. Das sagt „The Times“ über dieses Buch. Mein Interesse war geweckt. Unterstützt durch die spannend klingende Story und das vielsagende Cover. Skeptisch wurde ich, als ich gesehen habe, dass das Buch bereits 2007 in Großbritannien erschienen ist und nun 14 Jahre später erst auf Deutsch erscheint. Diese Skepsis würde sich auch auf die Geschichte übertragen, wie ich alsbald merkte. Die Story beginnt äußerst trocken und spannungsarm, und das ändert sich auch lange nicht. Bis „Schwester“ dann mal bei der „legendären Gruppe weiblicher Abtrünniger“ ankommt und etwas Spannung aufkommt, liegt schon ein Drittel des Buches hinter einem. Und dann passiert auch nicht viel Interessante und Spannendes, was mich an die Geschichte gebunden hätte. Aus der dystopischen Idee hätte man so viel machen können. Ich dachte, mich erwartet ein literarischer Stephen King, doch Sarah Hall hat ihre Idee nicht in einen guten Roman fassen können.
 

Penguin, 254 Seiten; 20,00 Euro

  Sebastian Lehmann – Das hatte ich mir grüner vorgestellt

Sebastian Lehmann - Das hatte ich mir grüner vorgestellt

Lange Zeit war Sebastian Lehmann überzeugter Großstädter. Doch nachdem ihn der dröhnende Baulärm Berlins schon wieder frühmorgens aus dem Schlaf reißt, hat er endlich genug. Also macht er sich mit seiner Freundin auf die Suche nach einem eigenen Gartengrundstück – und landet ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern. Die ersehnte Ruhe und Beschaulichkeit lassen aber erst mal auf sich warten. Denn wo der Salat wachsen soll, sind die Schnecken schneller, der Giersch sprießt überall, und die frisch bezogene Datsche ist morsch. Auch tauchen Fragen auf wie: Brauchen wir einen Zaun? Wie baut man ein Hochbeet? Und ist Feinripp das kleine Schwarze des Kleingärtners?

Sebastian Lehmann hat Bücher geschrieben wie „Ich war jung und hatte das Geld“ und „Mit deinem Bruder hatten wir ja Glück“. Bekannt ist er auch durch seine Radiokolumnen. Nun wagt er sich als langjähriger Großstädter raus aufs Land – er will Ruhe und einen Garten, besser gesagt – eine Datscha. Dieses „Abenteuer“ hat er in „Das hatte ich mir grüner vorgestellt“ verarbeitet. Witzig, spritzig, voller Elan und vielen Aha-Momenten! Ein Buch mit Erholungsfaktor. Allerdings ist es kein reines Gartenbuch, dass sich extrem viel mit dem Gärtnern beschäftigt, sondern ein Großteil des Buches nimmt der Umbau des Bungalows im 400-m²-Garten in Anspruch und auch immer wieder die Vergleiche zwischen Großstadt- und Landleben. Das ist aber meist nicht weniger lustig. Und es sei noch erwähnt: Sebastian Lehmanns Freundin hat keinen Namen, sondern heißt nur Freundin.

Goldmann, 236 Seiten; 13,00 Euro

     Alan Mikhail – Gottes Schatten –
     Sultan Selim und die Geburt der modernen Welt

Alan Mikhail - Gottes Schatten – Sultan Selim und die Geburt der modernen Welt

Selim I. „der Gestrenge“ (1470 – 1520), osmanischer Sultan und Kalif aller Gläubigen, lebte in einer Welt im Umbruch. Mit der Eroberung Amerikas durch die Spanier begann nach landläufiger Meinung der „Aufstieg des Westens“, mit der Reformation wurden mittelalterliche Denkweisen überwunden. Doch die eigentlich treibende Kraft dieser Veränderungen wurde bisher ausgeblendet: Erst das Vordringen des Osmanischen Reiches nach Westen zwang die Europäer ihrerseits weiter nach Westen in eine Neue Welt, wo sie ihren alten Kreuzzug gegen den Islam fortsetzten. Nicht zufällig kam es in Europa zur Glaubensspaltung, als Sultan Selim den sunnitischen Islam reformierte und sich der Graben zwischen Sunniten und Schiiten vertiefte.

Alan Mikhail zeigt, wie sehr die Geschichte Europas und Amerikas mit der der islamischen Welt verflochten ist. Ohne die Osmanen hätten die Europäer nicht Amerika erobert, hätte es keine Reformation gegeben und keine Moderne. Ein Buch, das einem die Augen für neue Erkenntnisse öffnet! Spannend, aufschlussreich und von großer Detailfülle. Die Hauptthemen sind: „Prinz 1470 – 1487 (u. a. Parfüm der Welt, Ein Osmane im Ausland)“, „Statthalter 1487 – 1500“, „Der Osmane 1492 (u. a. Kolumbus und der Islam, Der Islam der Neuen Welt, Christlicher Dschihad, Ein osmanisches Jerusalem)“, „Feinde nah und fern 1500 – 1512 (u. a. Ein Sommer auf der Krim, Der Weg nach Istanbul)“, Selims Weltkriege 1512 – 1518 (u. a. Brüderliche Reiche, Die Eroberung der Welt)“, „Finale Grenzen 1518 – 1520 (u. a. Überall das Reich, Dreh- und Angelpunkt am Atlantik)“ und „Nachkommen nach 1520 (Selims Reformation und Der amerikanische Selim).

C. H. Beck, 508 Seiten; 32,00 Euro

   Anke Petersen – Salz im Wind – Der Kaffeegarten 1

Anke Petersen - Salz im Wind – Der Kaffeegarten 1

Obwohl sie ihre Eltern früh durch eine Sturmflut verloren haben, wachsen die Schwestern Matei und Elin behütet und geliebt beim Kapitäns-Ehepaar Hansen in Keitum auf Sylt auf. Als Paul Hansen Anfang 1914 stirbt, stellt sich heraus, dass von seinem Vermögen nicht mehr viel übrig ist. Zusammen mit ihrer Ziehmutter Anna vermieten Matei und Elin Gästezimmer an Künstler und setzen bald all ihre Hoffnungen auf eine neuartige Idee: In dem altehrwürdigen Herrenhaus soll ein Kaffeegarten entstehen. An einem wunderschönen Sommertag ist es so weit, Kaffee-Duft zieht durch die hohen, stuckverzierten Räume, und bunt gekleidete Gäste erfüllen das Haus endlich wieder mit fröhlichen Stimmen. Doch kaum ist das Glück zu den Hansens zurückgekehrt, ziehen mit dem 1. Weltkrieg erneut dunkle Wolken auf.

Anke Petersen hat mit der Trilogie „Hotel Inselblick“ eine Bestseller-Reihe gelandet. Mit ihrer neuen Reihe will sie dem nacheifern. Mit Erfolg. Das Sylt-Familien-Epos um den „Kaffeegarten“ verführt und verzaubert die LeserInnen! Man schließt den Ort und ihre Charaktere ins Herz. Schnell weiß man, man will mehr. Und das „Mehr“ ist unterwegs: im Juli 2021 erscheint der zweite Roman vom „Kaffeegarten“, nach „Salz im Wind“ ist es dann „Die Farbe des Meeres“.

Knaur, 495 Seiten; 10,99 Euro