Kolumne vom 05.01.2015 – Nr. 333
Richard Overy
Der Bombenkrieg
Nichts hat die Zerstörungskraft des Zweiten Weltkriegs so sehr ins kollektive Gedächtnis eingebrannt wie der Bombenkrieg. Er vernichtete Dutzende Städte in ganz Europa, 600000 Menschen starben, Millionen verloren alles; die Ruinen von Coventry oder Dresden wurden zu Symbolen einer technischen, menschengemachten Apokalypse. Das Buch schildert den Weg dorthin und vom Scheitern dieses Krieges. Es deckt zahlreiche Mythen und Irrtümer auf, die bis heute kursieren. Es erzählt von den deutschen Bomben auf Stalingrad bis zu wenig bekannten Schauplätzen wie Rom oder Bulgarien. Es zeigt, welche Rolle Hermann Göring oder General Harris dabei spielten. Aber das ist bei weitem nicht alles.
Ein Buch, das dass Thema so intensiv und vielfältig betrachtet, hat es bisher nicht gegeben. Es wird auch in Jahrzehnten noch zu den Werken zählen, die als umfassend gelten werden. Das Buch gliedert sich in „Deutschlands Bombenkrieg“, „Die größte Schlacht: Alliierte Bomber über Europa“ und „Die größte Fehlkalkulation?“. Hier wird u. a. behandelt: „Die erste strategische Luftoffensive“ und „Die Bombardierung sowjetischer Städte“ auf deutscher Seite, „Die deutsche Gesellschaft unter den Bomben“ und „Italien: Der Krieg der Wörter und Bomben“ auf alliierter Seite. Man erfährt vom Vorgehen aller Kriegsparteien und was sie damit erreichen wollten; von den vielen Bomben, die abgeworfen wurden; von den Menschen, und wie sie mit dem Bombenterror umgingen; und noch viel mehr. Der Engländer Richard Overy hat mit „Der Bombenkrieg – Europa 1939 – 1945“ ein großartiges Werk verfasst!Rowohlt, 1047 Seiten; 39,95 Euro
Anita Augustin
Alles Amok
Jakob ist ein normaler Typ mit einem normalen Leben. Jakob hat ein Geheimnis, aber das weiß nur seine Mutter, die senil im Heim sitz. Seine Freunde kennen es nicht. Und dann taucht eines Tages Jürgen auf. Jürgen mit seinen komischen Sprüchen von den Freuden der Finsternis und der Glorie der Gewalt. Er verspricht Jakob und seinen Freunden ein Leben voll wilder Freiheit, voll süßer Anarchie. Aber nichts auf dieser Welt ist gratis, und so hat auch die Freiheit ihren Preis: Alle müssen mitspielen in dem Mordsspektakel, das Jürgen plant.
Die in Österreich geborene Autorin hat mit „Der Zwerg reinigt den Kittel“ ein viel beachtetes Debüt gefeiert. Nun liegt ihr zweiter Roman „Alles Amok“ vor. Dieser erreich nicht das Originelle und Schwarzhumorige des Debüts. Anita Augustin schreibt flüssig und mit Pep, auch diesmal, aber die Geschichte konnte mich so gar nicht packen. Sie plätschert so vor sich hin. Der Vorteil ist aber, dass der Erzählstil einen relativ schnell vorankommen lässt und die Geschichte auch so schnell an einem vorbeigeflogen ist. Auch wenn „Alles Amok“ ein geistreiches Bild unserer heutigen Gesellschaft zeigt, bleibt am Ende doch wenig zurück.
Ullstein, 332 Seiten; 16,99 Euro
Jürgen Erbacher
Ein radikaler Papst
Papst Franziskus ist anders. Er verabscheut den Pomp, räumt im Vatikan mit Seilschaften auf und durchleuchtet das dubiose Finanzgebaren der Vatikanbank. Er steht in Lampedusa an der Seite der Flüchtlinge und küsst auf dem Petersplatz die Entstellten. Doch bei aller Herzlichkeit und Bescheidenheit, die ihm die Herzen der Menschen zufliegen lassen, ist Franziskus ein Mann klarer Worte. Unbeirrt legt er den Finger in die Wunden von Kirche und Welt. Dieses Buch gibt ein aktuelles Bild von Papst Franziskus ab und zeigt, was von diesem Papst noch zu erwarten ist.
Papst Franziskus ist ein Geschenk für alle Christen weltweit. Und vor allem ist er ein Geschenk für die mehr als verstaubte und korrupte Kirche. Er räumt in Rom auf, soweit es ihm möglich ist. Seine Aussagen sind spitze, sein Charisma traumhaft, sein Führungsstil sicher und selbstbewusst. Dieses Buch bringt Ihnen Franziskus viel näher, als Sie ihn bisher kannten. Welche Kirche will er und mit welchem Stil will er seine Ziele erreichen? Was kann er finanziell und wirtschaftlich bewegen? Welchen Widerständen muss er sich entgegenstellen? Papst Franziskus dreht die Kirche um und zeigt der Kurie, wo der Hammer hängt. Erst vor kurzem sagte er: „Intrigen und Karrierestreben hätten die Kurie mit geistlichem Alzheimer infiziert.“ Recht hat er. Das sind Aussagen, die man sich vom Oberhirten wünscht. Das alles und noch viel mehr erfährt man in diesem Buch. Vor diesem Papst kann man nur allergrößten Respekt haben.
Pattloch, 283 Seiten; 19,99 Euro
Jeff Kinney
Böse Falle!
Greg hat sich auf entspannte Sommerferien gefreut. Ausschlafen, fernsehen, faulenzen. Doch seine Mom hat andere Pläne: Urlaub mit der ganzen Familie. Mit dem Auto starten sie zu einem ungewollten Roadtrip. Wenn die Heffleys unterwegs sind, ist das Chaos vorprogrammiert.
Gregs Tagebuch geht in die neunte Runde. Welch ein Glück. Ein Brüller jagt den nächsten. Hier können sich wieder alle Altersklassen schlapp lachen. Jeff Kinney begeistert mit seinem spritzigen Text und seinen genialen Zeichnungen wie eh und je.
Baumhaus, 217 Seiten; 13,99 Euro
Brendan Simms
Kampf um Vorherrschaft
Europäische Geschichte ist in den letzten 500 Jahren immer auch deutsche Geschichte gewesen. Auf dem Gebiet Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation spielte sich immer wieder der Kampf um die Vorherrschaft Europas ab. Lange fürchtete man Deutschlands Schwäche, dann seine Stärke, bis in unsere Tage.
Der Engländer Brendan Simms ist Kenner der europäischen Geschichte und der Geschichte Deutschlands im europäischen Kontext. In diesem Buch zeigt er ein umfassendes Bild von Europa in fünf Jahrhunderten. Es umfasst folgende Zeittafeln: 1453 – 1648, 1649 – 1755, 1756 – 1813, 1814 – 1866, 1867 – 1916, 1917 – 1944, 1945 – 1973, 1974 – 2011. Hier erfährt man viel über europäische und deutsche Geschichte. Ein Buch, das Geschichte lebhaft präsentiert.DVA, 896 Seiten; 34,99 Euro
Hörbuch der Woche
Dennis Lehane
Mystic River
Dave, Jimmy und Sean kannten sich schon als Kinder. Dort geschah etwas Schreckliches Nun, 25 Jahre später, kreuzen sich die Wege der drei grundverschiedenen Männer erneut unter tragischen Umständen, als Jimmys Tochter Katie ermordet aufgefunden wird. Sean, inzwischen Polizist, leitet die Ermittlungen, und schon bald steht sein alter Freund Dave unter Verdacht. Während Jimmy den Mörder seiner Tochter auf eigene Faust sucht, um Rache zu nehmen, geraten die Freunde aus Kindertagen immer tiefer in einen reißenden Strudel aus Misstrauen, Ungewissheit und Gewalt.
Ein Kriminalroman der vor nicht allzu langer Zeit geschrieben wurde, aber schon zu den Klassikern des Genres gehört. „Mystic River“ ist ein ganz großes Werk! Auch verfilmt, von Clint Eastwood, und mit dem Oscar ausgezeichnet. Das geschah auch mit einem weiteren Werk von Dennis Lehane, „Shutter Island“. Doch „Mystic River“ ist anders. Eine Sozialdrama, ein Kriminalroman, eine Gesellschaftsstudie, ein genaues Psychogramm der Figuren. Diesem Hörbuch kann man nicht entrinnen. Stefan Kaminski, der Mann der tausend Stimmen, macht auch aus diesem Krimiklassiker ganz, ganz viel. Er gibt jeder Figur seinen eigenen stimmlichen Charakter. Das hat auch einen Oscar verdient.Auch als Taschenbuch erhältlich bei Diogenes, 11,90 Euro.
Diogenes Hörbuch, 2 MP3 CDs, 905 Minuten; 24,90 Euro
Denglers-buchkritik.de
Kolumne vom 12.01.2015 – Nr. 334
Daniel Wolf
Das Licht der Welt
Varennes-Saint-Jacques, 1218. Der Buchmaler Rémy Fleury träumt von einer Schule, in der jedermann lesen und schreiben lernen kann. Sein Vater Michel, Bürgermeister von Varennes, will seine Heimat zu Frieden und Wohlstand führen, während in Lothringen Krieg herrscht. Die junge Patrizierin Philippine ist in ihrer Vergangenheit gefangen und trifft eine folgenschwere Entscheidung. Sie alle eint der Wunsch nach einer besseren Zukunft, doch ihre Feinde lassen nichts unversucht, sie aufzuhalten. Besonders der ehrgeizige Ratsherr Anseau Lefèvre hat geschworen, die Familie Fleury zu vernichten.
Daniel Wolf ist mit seinem Bestseller „Das Salz der Erde“ über Nacht ein Star unter den Autoren historischer Romane geworden. Nun setzt er die Geschichte in „Das Licht der Welt“ fort. Und herausgekommen ist wieder ein Historienspektakel, das einen umhaut! Er entwickelt die Figuren aus dem Vorgänger prächtig weiter. Wieder gibt es zahlreiche Verwicklungen, Wendungen und dramatische Ereignisse. Und das alles über 1.100 Seiten lang auf hohem Spannungsniveau. Da gibt es nur sehr wenige Autoren, die das schaffen. Daniel Wolf macht sich auf, den Thron der deutschen historischen Autoren zu besteigen!Auch als Hörbuch erhältlich bei der Hörverlag. Der große Geschichtenerzähler Johannes Steck verleiht diesem epischen Roman den richtigen Ton. 16,99 Euro.
Goldmann, 1150 Seiten; 9,99 Euro
Paul Auster
Bericht aus dem Inneren
Paul Auster führt uns in seine frühe Kindheit. Er stellt Fragen, wie: Wann werden einem Menschen die Koordinaten bewusst, die sein Leben bestimmen? Ab wann begreift sich der kleine Junge aus New Jersey als Amerikaner? Wann als amerikanischer Jude? Der Leser wird Zeuge, wie Auster jenen Paul kennenlernt, der ihm viele Jahre später nur noch schemenhaft vor Augen steht, der allmählich zum Künstler heranwächst, rastlos in winzigen Pariser Zimmern ausharrt, Drehbücher und Liebesbriefe schreibt, Ideen verfolgt und verwirft, die Studentenrevolte in New York erlebt und sich zunehmend dem Schreiben widmet.
Paul Auster ist ein ausgezeichneter Literat! Seine Romane haben viel Tiefe und Aussagekraft, erzählt in einer wunderbaren Sprache. Nun folgt kein neuer Roman, sondern mit „Bericht aus dem Inneren“ eine Bestandsaufnahem seines Lebens. Einigen erzählerischen Höhen, folgen umso mehr Tiefen. Oft langweilig schildert er aus seinem Leben. Doch für eingefleischte Paul-Auster-Fans wird dieses Buch auch viel von ihrem Literaturstar verraten. Das hat dann auch was. Und Paul Auster garniert das mit über sechzig Seiten Schwarzweißbildern, die die amerikanische Kultur und das Leben dort zeigen. So wie Auster es sieht, was für ihn wichtig ist
Rowohlt, 356 Seiten; 19,95 Euro
Trudi Canavan
Die Begabte
Der junge Archäologe Tyen entdeckt ein magisches Buch, in dem seit vielen Jahrhunderten das Bewusstsein einer Frau gefangen ist: Pergama war einst eine talentierte Buchbinderin, bis ein mächtiger Magier sie mit einem Zauber belegte und dazu verfluchte, für alle Zeit das Wissen der Welt in sich aufzunehmen. Und so weiß Pergama, dass Tyens Heimat und allen, die ihm am Herzen liegen, eine schreckliche Katastrophe droht. Allerdings kann sie Tyen nur helfen, wenn es ihm gelingt, den Fluch des Buches zu brechen. Tyen möchte Pergama befreien, denn er hat sich in sie verliebt …
Trudi Canavan gehört zu den weiblichen Superstars des literarischen Fantasy-Genres. Nach den Epen „Die Gilde der Schwarzen Magier“ und „Sonea“ startet sie jetzt eine neue Trilogie „Die Magie der tausend Welten“. Und wieder enttäuscht sie nicht, sondern bietet Fantasy-Stoff, der anders ist. Spannung, Magie, flott und mitreißend geschrieben – unheimlich magisch gut. Eine besondere Geschichte mit einer sehr gelungen Grundstory. Man darf gespannt sein, wie sie sich weiterentwickelt.
Auch als Hörbuch erhältlich bei Random House Audio. Martina Rester liest eingängig und einprägend. Mit ihr macht diese magische Reise Spaß! 24,99 Euro.
Penhaligon, 557 Seiten; 19,99 Euro
Albert Hourani
Die Geschichte der arabischen Völker
Das Buch erzählt die Geschichte und Kultur der arabischen Völker seit dem 7. Jahrhundert. Es berichtet von der rasanten Verbreitung des Islam und erzählt von den Gelehrten, Völkern und Ereignissen, welche die arabische Welt prägten.
Albert Houranis (1915 – 1993) Klassiker ist das erste Mal 1991 erschienen und liegt nun in einer aktualisierten Neuausgabe vor. Ein vielschichtiges, großartiges Buch über die arabische Welt. Es geht dabei vielen Themen nach. Von der Bildung der Gesellschaft; wie sich die arabisch-muslimische Welt zusammensetzt; vom ländlichen Leben und den städtischen Gebieten; vom Osmanischen Zeitalter bis zu dem der europäischen Imperien; und noch so viel mehr.
S. Fischer, 701 Seiten; 34,00 Euro
Sara Blaedel
Die vergessenen Mädchen
In einem Waldstück wird die Leiche einer Frau gefunden. Die Tote hat eine lange Narbe in ihrem Gesicht. Für Kommissarin Louise Rick sollte sie leicht zu identifizieren sein. Doch niemand meldet die Tote als vermisst. Louises Ermittlungen führen sie tiefer in die eigene Vergangenheit, als ihr lieb ist …
Ein spannender und aufwühlender Kriminalroman! Die Dänin Sara Blaedel, deren Werke bereits in über fünfzehn Sprachen übersetzt wurden, schreibt klar, wenn es die Geschichte verlangt, und einfühlend bei den ruhigeren Momenten. „Die vergessenen Mädchen“ werden auch Sie so schnell nicht wieder vergessen!
Piper, 349 Seiten; 14,99 Euro
Hörbuch der Woche
Leonie Swann
Dunkelsprung
Julius Birdwell, Goldschmiedemeister, Flohdompteur und unfreiwilliger Einbruchkünstler, wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich eine ruhige, unbescholtene Existenz führen zu können. Doch als seine Flohartisten einem plötzlichen Nachtfrost zum Opfer fallen und die geheimnisvolle Elizabeth Thorn in sein Leben tritt, überstürzen sich die Ereignisse. Julius sieht sich mit existentiellen Fragen konfrontiert: Wie befreit man eine Meerjungfrau? Wie viele Flöhe passen auf eine Nadelspitze? Und warum ist das Leben trotz allem kein Märchen?
Leonie Swann hat mit den Bestsellern „Glennkill“ und „Garou“ für Furore gesorgt. Beide Bücher wurden bisher in 25 Sprachen übersetzt. Nach einigen Jahren literarischer Abstinenz kehrt sie jetzt mit dem Roman „Dunkelsprung“ auf die Bühne zurück. Die Erwartungen waren groß an diesen Roman. Leonie Swann konnte sie nicht ganz erfüllen. Der Roman hat eine fantasievolle Geschichte und jede Menge verrückter Ideen, aber das alles trägt den Roman und das Hörbuch nicht über die ganze Strecke. Doch man kann sich von den Flöhen schon ein wenig infizieren lassen. Andrea Sawatzki liest die nicht ganz überzeugende Geschichte aber prächtig. Ihrer Stimme lauscht man gerne!Auch als Hardcover erhältlich bei Goldmann, 19,99 Euro.
Der Hörverlag, 1 MP3 CD, 686 Minuten; 19,99 Euro
Denglers-buchkritik.de
Kolumne 19.01.2015 – Nr. 335
Howard Jacobson
Im Zoo
Guy Ableman ist ein Getriebener: Mit Haut und Haaren seiner hinreißend schönen und klugen Frau verfallen, begehrt er gleichzeitig deren nicht minder attraktive Mutter. Nicht nur die beiden rauben ihm seinen Seelenfrieden, auch die Arbeit als einst gefeierter Autor lässt ihn nicht schlafen. Sein Verleger hat sich umgebracht, Vampirliebesgeschichten verdrängen seine literarischen Romane aus den Buchhandlungen, und ihm fehlt jegliche Inspiration für ein neues Buch. Vielleicht könnte die Liaison mit seiner Schwiegermutter ja Stoff für ein letztes, großes Meisterwerk bieten …
Eine ganz herrliche, humorige, literarische Komödie! Eine Roman, der durch Wortgewandtheit und eine fabelhafte Geschichte von der ersten Seite an zu überzeugen weiß. Der Literaturbetrieb wird hier mal richtig schwarzhumorig dargestellt. Den Autoren gehen die Leser aus. Es gibt immer mehr Autoren und immer weniger Leser. Guy Ableman ist davon überzeugt, dass es so ist. Besonders für seine Literatur interessiert sich kaum einer mehr. Was macht das mit ihm und seinem Leben? Und auch sein Liebesleben ist ein einziges Durcheinander. Das alles zu lesen ist so köstlich. „Im Zoo“ wurde in Großbritannien als witzigster Roman des Jahres ausgezeichnet.DVA, 443 Seiten; 24,99 Euro
Benno Hurt
Die Richterin
Judith S. ist eine Frau von 46 Jahren. Ihr rotes Haar fällt auf. Sie lebt allein, hat keine Kinder. Sie ist eine hervorragende Richterin und wird bald befördert werden. Ihre Eltern sind vor einigen Jahren gestorben. Sonntags besucht sie nur das Grab ihres Vaters und fotografiert dabei heimlich den Garten und das bunte Leben einer Familie, die jenseits der Friedhofsmauer wohnt. Sie möchte sich ein neues Familienalbum schaffen. In der Liebe hat sie wenig Erfahrung – sie will kontrollieren und führt doch, gerade in der Nacht, ein Doppelleben.
Von „Der Richterin“ hatte ich mir viel erhofft. Wie ist das Leben einer Richterin, wie ihre Fälle, wie ihr Alltag. Man hätte hier so viel Gutes und Spannendes schreiben können. Dem Deutschen Benno Hurt ist das nicht gelungen. Er verrennt sich in so viel unglaublich Langweiligem und Unwichtigen. Da kann man nur den Kopf schütteln. Wie kann man aus einer so guten Ideen und einer eigentlich gut durchdachten Hauptfigur nur so einen Roman machen! Hurt verliert sich in Geschwafel. Ein Prozess, über einen Ast der in Nachbarsgarten hängt, ist spannender als dieses Buch.
dtv, 255 Seiten; 19,90 Euro
Detlev Ganten / Jochen Niehaus
Die Gesundheitsformel
Unser Wissen über den Menschen ist immens, unser Gesundheitssystem ist trotzdem in der Krise, der Ruf nach Prävention wird immer lauter. Wer verstehen will, wie das Gesundsein wirklich funktioniert, muss die Fakten kennen: aus der Entwicklungsgeschichte unseres Körpers, aus der Molekularbiologie, aus der Genetik. Dieses Buch der medizinischen Bildung klärt darüber auf. Denn nur wer die Zusammenhänge versteht, weiß, wie er gesund bleiben und sich vor den großen Zivilisationskrankheiten schützen kann.
Auf, auf, zu einem neuen Leben, das eigentlich nicht neu sein müsste. Sondern ganz normal. Doch viele Menschen leben und essen in unserer Welt nicht ganz normal, sondern vollkommen unnormal. Die Autoren dieses Buches wollen den Menschen ein eigentlich normales Leben, das man führen sollte, wieder ins Bewusstsein rufen. Die großen Eckpunkte um lange gesund zu bleiben sind: körperliche und geistige Bewegung, gesunde Ernährung, kein Übergewicht, kein Rauchen, kein Alkoholkonsum. Wer das beachtet, wird wahrscheinlich sehr alt. „Die Gesundheitsformel“ zeigt auf anschauliche Weise mit einfachen Beispielen, was genau zu tun ist, um Schmerzen vorzubeugen, wie man Krankheiten verhindern kann und wie man seinem so wertvollen Wunderwerk Körper Gutes tun kann.
Knaus, 477 Seiten; 24,99 Euro
Vivienne Westwood / Ian Kelly
Vivienne Westwood
Vivienne Westwood ist eine bekannte Modedesignerin, Aktivistin, Mitbegründerin des Punk, globale Marke und Großmutter. In diesem Buch hat sie mit dem Co-Autor die Geschichte ihres Lebens aufgeschrieben, um alle Ereignisse, Menschen und Ideen zu würdigen, die sie zu dem gemacht haben, was sie heute ist.
Vivienne Westwood hat in der Modewelt Kultstatus. Sie war eine der prägenden Frauenfiguren der Modeindustrie des 20. Jahrhunderts. Und ist es auch heute noch. 1941 geboren, kam die in den frühen 1960ern nach London. Dort ändert sich dann alles, dort war der Beginn einer langen Lebens- und Modereise. Das Buch wird auch noch mit zahlreichen Fotos abgerundet. Dieses Buch ist nicht weniger ein gelungener Auftritt, als die Mode von Vivienne Westwood.
Eichborn, 575 Seiten; 24,99 Euro
Norbert Grob
Fritz Lang – Die Biographie
Fritz Lang war und ist ein Mythos. Die Weimarer Republik feiert den Regisseur als Star. Die Nationalsozialisten umwarben ihn, doch er zog das Exil in den USA vor, wo er zur zentralen Figur der Emigrantenszene wurde. Hollywood ermöglicht ihm dann eine zweite Karriere.
Fritz Lang, ein Name wie in Stein gemeißelt. Wer die Filmszene kennt, kennt Fritz Lang. Wer nicht, der lernt den extravaganten Filmmagier in diesem Buch kennen. Der Autor deckt mit diesem Buch sein ganzes Leben ab, von 1890 bis 1976, von Wien bis nach Berlin, von Paris bis Los Angeles. Man bekommt intensive Einblicke in das Leben von Fritz Lang. Für Fans des Regisseurs ein Buch, auf das sie lange gewartet haben, und nun verschlingen werden.Propyläen, 447 Seiten; 26,00 Euro
Hörbuch der Woche
Christina Baker Kline
Der Zug der Waisen
New York, 1929: Mit neun Jahren verliert Vivian Daly, Tochter irischer Einwanderer, bei einem Wohnungsbrand ihre gesamte Familie. Gemeinsam mit anderen Waisen wird sie in einen Zug verfrachtet und in den Mittleren Westen geschickt, wo die Kinder auf dem Land ein neues Zuhause finden sollen. Doch es ist eine Reise ins Ungewisse, denn nur die wenigsten von ihnen erwartet ein liebevolles Heim. Und auch Vivian stehen schwere Bewährungsproben bevor. Erst viele Jahrzehnte später eröffnet sich für die inzwischen Einundneunzigjährige in der Begegnung mit der rebellischen Molly die Möglichkeit, das Schweigen über ihr Schicksal zu brechen.
Eine aufwühlende, dramatische, traurig machende und trotzdem Glück schenkende Leseerfahrung. Die Geschichte der Waisenkinder, die durch die USA der 1920er und 1930er reisen um an verschiedenen Stationen „abgeladen“ zu werden, lässt einen über das eigene Leben als Kind nachdenken. Wie froh man sein konnte in einer anderen Zeit und einer intakten Familie aufgewachsen zu sein. Einerseits freut man sich für die Kinder, wenn sie nette Eltern finden, aber meist trauert man mit ihnen, weil sie als eine Art Sklaven missbraucht wurden. „Der Zug der Waisen“ hallt lange nach! Beate Himmelstoß und Susanne Schroeder bringen die Figuren nah rüber. Ihre Lesung macht die Geschichte sehr lebendig und man fühlt noch mehr mit.Auch als Hardcover erhältlich bei Goldmann, 19,99 Euro.
Der Hörverlag, 1 MP3 CD, 623 Minuten; 19,99 Euro
Denglers-buchkritik.de
Kolumne vom 26.01.2015 – Nr. 336
Tana French
Geheimer Ort
Im behüteten Mädcheninternat St. Kilda ist vor einem Jahr dort im Park ein Junge erschlagen worden. Nun hängt sein Bild am Schwarzen Brett – mit der Überschrift: „Ich weiß, wer ihn getötet hat“. Nur eines von acht Mädchen kann die Karte aufgehängt haben. In zwei Cliquen stehen sie sich gegenüber – unverbrüchliche Freundinnen, erbarmungslose Feindinnen. Der junge Detective Stephen Moran kennt eines der Mädchen, Holly Mackey, aus einem früheren Fall und meint zu wissen, was auf dem Spiel steht. Bis er hinter den Mauern von St. Kilda selbst in das verfängliche Netz aus Träumen und Lügen gerät.
Tana French schreibt ganz andere Kriminalliteratur. Anders und fabelhaft. Mit ihrem eigenwilligen Erzählstil präsentiert sie dem Leser hochkarätige Kriminalromane. Nach ihren Bestsellern wie „Grabesgrün“ und „Totengleich“ folgt nun ihr neuer „Geheimer Ort“. Die Story wird langsam und aufwendig aufgebaut. Tana French versteht es, mit ihren Stil alles sehr nah und detailreich zu schildern. Und hier hakt es bei der Story dann auch immer wieder mal. Zu viele belanglose Gespräche und zu viel Paranormales. Da wäre weniger mehr gewesen. Die Mechanismen eines solchen Mädcheninternats kennenzulernen ist wiederum interessant. Es gibt einem Einblicke in eine eigene Welt. „Geheimer Ort“ ist ein Krimi im Tana-French-Style! Aber sicher nicht ihr bester.Auch als Hörbuch erhältlich bei Argon Hörbuch. Inka Löwendorf und Gerrit Schmidt-Foß liefern eine eindrucksvolle Lesung ab. 19,99 Euro.
Scherz, 698 Seiten; 14,99 Euro
Christopher Galt
Testament
Auf der ganzen Welt haben Menschen unerklärliche Visionen. Ein Polizeibeamter erblickt das Gespenst seiner Frau in der Küche. Ein Passagierflugzeug stürzt ab, als der Pilot einem Vulkan ausweicht, der überhaupt nicht existieren dürfte. In Israel beobachten Menschen, wie sich das rote Meer teilt. Während Wissenschaftler von einer Virus-Epidemie ausgehen, sehen Religionsfanatiker die Hand Gottes am Werk. Der Psychologe John Macbeth untersucht das Phänomen. Was er herausfindet, ist unfassbar.
Auf dem Buch steht Thriller. Aber eine flott erzählte Story verbirgt sich in diesem Buch wahrlich nicht. Ganz im Gegenteil. Zäh und ermüdend kommt die Story daher. Christopher Galt hat mit „Testament“ aber auch einiges richtig gemacht. Denn seine Ausführungen über Wissenschaft und Religion sind zwar viel zu lang geraten, aber sie vermitteln doch auch interessante Denkansätze. Trotzdem hat diese Ausführlichkeit der Themen nichts in einem Thriller zu suchen. Die Spannungsmomente in dem Buch werden durch diese Langatmigkeit immer wieder abgewürgt. Zum Ende hin wird die Story besser. Doch das „Testament“ ist bis dahin schon unterzeichnet.
Bastei Lübbe, 526 Seiten; 9,99 Euro
Luca Crippa / Maurizio Onnis
Wilhelm Brasse – Der Fotograf von Auschwitz
1940 wird Wilhelm Brasse, Sohn eines Österreichers und einer Polin, nach Auschwitz deportiert. Als die Lagerleitung hört, dass er ein ausgebildeter Fotograf ist, lässt man ihn arbeiten. In den nächsten Jahren muss er etwa 50.000 Fotos von Häftlingen machen. Entgegen den Anordnungen der Lagerleitung versucht Wilhelm Brasse ihnen Respekt und Mitgefühl zu zeigen. Zugleich versucht er sich mit seiner Arbeit von dem Grauen ringsum abzuschotten. Vergeblich, denn bald muss er auch die barbarischen Versuche der Lagerärzte an Zwillingen und Frauen dokumentieren. Er schmuggelt Fotos hinaus und hat am Ende nur noch ein Ziel: die Vernichtung dieser Aufnahmen durch die fluchtbereiten SS-Männer zu verhindern.
Ein erschütterndes, trauriges und wichtiges Buch! Man leidet mit den Menschen und kann einfach immer wieder aufs Neue nicht verstehen, wie andere Menschen das ihresgleichen antun konnten. Wilhelm Brasse wusste natürlich, was mit allen im Lager geschah, die er fotografierte. Und doch konnte er nicht das Geringste machen, denn es wäre auch sein eigenes Todesurteil gewesen. Mit diesem inneren Konflikt kämpft Brasse die ganze grausame Zeit, die er in Auschwitz verbringt. Die Beschreibungen von den Personen, die gerade noch lebten und fotografiert wurden, mit dem Wissen zu sehen, dass sie kurz darauf schon tot sein werden, das macht einen beim Lesen tieftraurig. „Der Fotograf von Auschwitz“ zeigt die grausame Fratze der Menschen, aber auch Mitgefühl und Mut.
Blessing, 336 Seiten; 19,99 Euro
Laline Paull
Die Bienen
Flora 717 ist eine Säuberungsbiene aus der untersten Kaste im Bienenkorb. Ausgestattet mit Fähigkeiten, die ihren Rang weit überschreiten, steigt sie schnell auf und darf sogar an der Seite der Königin leben. Doch ohne es zu wollen, gebiert Flora eines Tages ein Ei. Ein Umstand, der allein der Königin vorbehalten ist und bei Missachtung schwer bestraft wird.
Wie geht es zu im Bienenvolk? „Die Bienen“ gibt Ihnen die Antwort. Ein wunderbarer Roman über ein für uns so wichtiges Tierchen, die Biene. Die Engländerin Laline Paull eröffnete dem Leser einen unbekannten Kosmos und erfüllt ihn mit viel Leben. Man klebt schnell an der Geschichte und an Flora fest. Loskommen tut man erst mit dem Epilog.
Tropen, 343 Seiten; 19,95 Euro
Hannah Kent
Das Seelenhaus
Island 1828. Die verschlossene Agnes wird als hart arbeitende Magd respektiert. Als sie des Mordes an zwei Männern angeklagt wird, ist sie allein. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf dem Hof eines Beamten verbringen. Die Familie ist außer sich, bis Agnes Stück um Stück die Geschichte ihres Lebens preisgibt.
Ein authentischer Roman, der Realität und Fiktion spannend und dramatisch mixt. Die Geschichte geht einem nahe und man ist sehr bei der Hauptfigur. Die Australierin Hannah Kent hat mit der Geschichte der historischen Figur der Agnes einen Bestseller gelandet. Die Rechte am Buch sind mittlerweile in zwanzig Länder verkauft.Droemer, 383 Seiten; 19,99 Euro
Hörbuch der Woche
Silvia Day
Crossfire – Hingabe
Eva und Gideon haben sich das Ja-Wort gegeben. Sie waren überzeugt, dass nichts sie mehr trennen kann. Doch seit der Hochzeit sind ihre Unsicherheiten und Ängste größer denn je. Eva spürt, dass Gideon ihr entgleitet und dass ihre Liebe in einer Weise auf die Probe gestellt wird, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte. Plötzlich stehen die Liebenden vor ihrer schwersten Entscheidung: Wollen sie die Sicherheit ihres früheren Lebens wirklich gegen eine Zukunft eintauschen, die ihnen immer mehr wie ein ferner Traum erscheint?
Sex und Liebe, Liebe und Sex, und noch viel Geziehe zwischen den Geschlechtern. Nach den drei megaerfolgreichen Bänden der „Crossfire“-Reihe folgt nun der vierte „Hingabe“. Eva und Gideon entwickeln sich in ihrer Beziehung weiter und auch wieder nicht. Es ist ein ewiges hin und her, gewürzt mit ein paar sexuellen Akten. „Crossfire“ ist nach „Shades of Grey“ die Marke der neuen erotischen Literatur. Gewesen. Denn mit diesem vierten Band hat sich die Autorin keinen großen Gefallen getan. Die ungekürzte Lesung wird von Svantje Wascher und Michael Hansonis dem Titel getreu vorgetragen. Sie fangen mit ihren Stimmen gut die Stimmungen des Romans ein. Aber auch sie können am Ende nicht überzeugen.Auch als Taschenbuch erhältlich bei Heyne, 9,99 Euro.
Random House Audio, 2 MP 3CDs, 795 Minuten; 14,99 Euro
Denglers-buchkritik.de