April 24, 2024

Kolumne 30.08.2021 Nr. 680

680

BuchKolumne 30.08.2021 Nr. 680

Ulrich Woelk– Für ein Leben
Lena Lamberti – Dating Sabbatical
Ute Mank – Wildtriebe
Neal Stephenson – Corvus
Maurus Reinkowski – Geschichte der Türkei

 Ulrich Woelk – Für ein Leben

Ulrich Woelk - Für ein Leben

Als die junge Berliner Ärztin Niki Lamont kurz nach dem Mauerfall aufgrund einer Fehldiagnose einem jungen Mann beinahe schweren Schaden zufügt, ahnt sie nicht, dass sie ihn einmal heiraten wird. Auch die Umstände ihres Wiedersehens Jahre später sind mehr als ungewöhnlich, ebenso wie der Verlauf der Hochzeitsnacht. Niki, geboren in Afghanistan, aufgewachsen in Indien und Mexiko als Kind deutscher Hippies, lernt, ebenfalls im Krankenhaus, die etwas jüngere Lu kennen, deren Vater sich nach dem Tod der Mutter regelmäßig ins Koma trinkt. Die Begegnung der zwei Frauen, beide gewissermaßen elternlos, hat Folgen, die sie niemals erwartet hätten.

Ich bin schon seit zwei Jahrzehnten ein Fan von Ulrich Woelk. Seine Romane haben mich fast immer begeistert. Auf seinen neuen Roman „Für ein Leben“ war ich sehr gespannt! Und er hat mich nicht enttäuscht. „Für ein Leben“ begeistert, berauscht, ein intensives Lesevergnügen durch und durch! Ulrich Woelk stellt die beiden Hauptdarstellerinnen Niki und Lu abwechselnd vor. Mal erzählt er aus der Gegenwart (beginnend in den 1990ern) und aus der Vergangenheit der beiden Frauen. Auch bekommen anderen Figuren eigene große Kapitel und so lernt man auch sie aus deren Perspektive kennen. Ulrich Woelk erzählt vielschichtig, interessant, anziehend, egal was die Figuren machen, man kann sich ihnen nicht entziehen. „Für ein Leben“ enthält auch viele Gedanken, die im Gedächtnis bleiben, wie: „Offensichtlich war Liebe eine Macht, die Menschen kurze Zeit glücklich, und lange unglücklich machen konnte.“ Und die Liebe spielt eine ganz zentrale Rolle in „Für ein Leben“. Ulrich Woelk zeigt die Leidenschaft und Liebe in ihren unterschiedlichen Spielarten. Er zeigt auch, wie schwierig es mit der Liebe ist. Man kann oft nicht verstehen, warum die Liebe geht, wenn sie doch so schön sein kann. „Für ein Leben“ – Ulrich Woelks Opus magnum!

C. H. Beck, 631 Seiten; 26,00 Euro

  Lena Lamberti – Dating Sabbatical

Lena Lamberti - Dating Sabbatical

Lena Lamberti hatte es satt beim Dating von einem Liebesleid ins nächste zu springen und entschied sich für einen Selbstversuch: Ein Jahr lang verzichtete sie auf Dates und Sex, um abseits der üblichen Wege nach Liebe zu suchen. Dieses Dating Detox gab ihr Ruhe, ihr vergangenes Liebesleben aufzuräumen, sich über die Ursachen für ihre Dating Probleme klar zu werden und eine neue Einstellung zur Liebe und zu Partnerschaften zu entwickeln. Aus Ihren eigenen Erfahrungen heraus zeigt Sie Wege auf, wie wir die wiederkehrenden Enttäuschungen in Dates und Beziehungen hinter uns lassen und endlich die Liebe finden, nach der wir uns immer gesehnt haben. Denn nur, wenn wir uns der Ursachen für unser kompliziertes Liebesleben bewusstwerden und diese überwinden, können wir unser Herangehen an die Liebe verändern und uns von den eigenen festgefahrenen Beziehungsmustern und Liebesproblemen befreien.

Ein Buch über das Dating bzw. Nicht-Dating, das ist „Dating Sabbatical“. Lena Lamberti beschreibt rosarote esoterische Luftschlösser, vom sich selbst kennen und lieben, dann tun das auch alle anderen. Da ist natürlich viel Wahrheit dabei, denn anders geht es nicht, aber nur wenn du dich selbst liebst und kennst, fallen dir nicht die Männern bzw. Frauen in den „Schoß“. So einfach funktioniert das mit dem Dating dann doch nicht. Männer sind kompliziert, Frauen sind kompliziert, es geht dabei immer darum, dass man sich mit dem anderen Kompliziert sein arrangiert. „Dating Sabbatical“ enthält einige Wahrheiten, aber eben auch zahlreiche Luftschlösser der Autorin. Mal ist Witz und Tiefgang da, ein anderes Mal schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und denkt, auf welchen Planeten lebt Lena Lamberti denn.

Knaur, 253 Seiten; 12,99 Euro

   Ute Mank – Wildtriebe

Ute Mank - Wildtriebe

Für die alte Großbäuerin Lisbeth gibt es nichts Wichtigeres als den Hof, sein Erhalt ist ihr Lebenssinn. Nie hat sie die damit verbundenen Pflichten hinterfragt. Doch mit Schwiegertochter Marlies kommt eine neue Frau ins Haus, die keineswegs klaglos und ohne eigene Wünsche das Leben einer Bäuerin führen will. Das Kaufhaus in der nächsten Stadt wird für Marlies zum Sehnsuchtsort, arbeiten möchte sie dort, einen Jagd- und Traktorführerschein machen, das Leben soll doch mehr zu bieten haben. Die beiden Frauen tragen fortan stille Kämpfe aus, um Haushaltsführung, um Kindererziehung. Doch eigentlich werden viel größere Dinge verhandelt: Lebensmodelle, Vorstellungen vom Frausein, vom Muttersein. Und doch ist da ein verbindendes Element: Marlies’ Tochter Joanna.

Ute Mank macht aus dem „einfachen“ Leben auf einem Bauernhof eine absolut ansprechende literarische Geschichte! Wie sie Lisbeth und Marlies darstellt ist so lebensnah, so spürbar, so greifbar. Dabei holt sie nicht ausschweifend aus, sondern erzählt die Geschichte der beiden und dem Leben auf dem Hof in kurzen, prägnanten Sätzen und Kapiteln. Der Bethches-Hof steht auch als Beispiel dafür, wie die mittleren und kleinen Höfe nach und nach aussterben. Das zeigt Ute Mank, neben den eindringlichen Charakterbeschreibungen, nach und nach auf. Doch nicht nur Lisbeth und Marlies bestimmen das Buch, sondern auch deren Männer, die aber „nur“ für den Hof da sind, und nicht für den Haushalt. Auch die Ehen der beiden Frauen sind nicht immer einfach. Zum Schluss ist da noch Joanna, die ihren ganz eigenen Weg geht, aber doch Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet. „Wildtriebe“ hat mich fasziniert!

dtv, 283 Seiten; 22,00 Euro

Neal Stephenson – Corvus

Neal Stephenson - Corvus

Als Richard Forthrast, genannt Dodge, überraschend früh verstirbt, erfüllen seine Angehörigen seinen letzten Willen: Er hatte verfügt, dass sein Gehirn konserviert werden soll, bis die Technologie es eines Tages ermöglicht, die Daten seines Bewusstseins zu erfassen und hochzuladen. Viele Jahre später gelingt es dank eines komplexen Verfahrens tatsächlich, Dodge digitales Leben einzuhauchen. Er hat den Tod überwunden und erschafft nun eine neue Welt, die „Bitworld“, die bevölkert ist von digitalen Seelen wie seiner eigenen. Doch das schöne neue Jenseits ist nicht das erträumte Paradies – und schon bald entflammt dort ein erbitterter Kampf.

Modern, komplex, herausragend, das sind die Romane von Neal Stephenson! Wer zu einem Buch von ihm greift, der kann sich sicher sein, dass er eine ungeheure, eine ganz großartige Geschichte geboten bekommt. Neal Stephenson ist unvergleichbar! All das trifft auch auf Neal Stephensons neues Werk „Corvus“ zu. Über 1.000 Seiten visionäre Literatur.

Goldmann, 1.152 Seiten; 30,00 Euro

  Maurus Reinkowski – Geschichte der Türkei

Maurus Reinkowski - Geschichte der Türkei

Die auf den Trümmern des Osmanischen Reiches errichtete Republik Türkei hat im Laufe ihrer hundertjährigen Geschichte ihre Identität immer wieder neu definiert: Der von Atatürk forciert laizistisch und europäisch aufgestellte Nationalstaat strebte unter dem Militärregime nach 1980 eine türkisch-islamische Synthese an, sah sich nach 1990 als Führungsmacht aller Turkvölker, um die Jahrtausendwende als künftiges Mitglied der Europäischen Union und sucht heute den Schulterschluss mit der ehemals osmanisch beherrschten arabischen Welt.

Maurus Reinkowksis „Geschichte der Türkei“ lädt ein, ein Land und seine Geschichte kennenzulernen, von dem man denkt viel zu wissen, und man am Ende doch so unwissend ist. Dieses Buch ist für alle, die die wechselhafte Geschichte der Türkei wirklich kennenlernen wollen. Die Hauptthemen sind: „Erbe und Last: Die spätosmanische Zeit (1876 – 1912)“, „Die Geburt aus dem Krieg (1912 – 1922)“, „Die Wege trennen sich (1922 – 1925)“, „Atatürk und der Kemalismus (1923 – 1938)“, „Dem Erbe verpflichtet (1938 – 1950)“, „Neue Erwartungen, enttäuschte Hoffnungen (1950 – 1960)“, „Die neue Unübersichtlichkeit“, „Polarisierung und Radikalisierung (1961 – 1980)“, „Politikingenieure an der Mach (1980 – 1983)“, „Exkurs: Nation und Islam“, „Ungehemmte und gehemmte Liberalisierung (1983 – 1993)“, „Politische und wirtschaftliche Stagnation (1993 – 2002)“, „Aufbruch (2002 – 2013)“, „Alte und neu Leitbilder“ und „Die alte Türkei und die neue Türkei“.

C. H. Beck, 496 Seiten; 32,00 Euro