Kolumne vom 23.11.2015 – Nr. 379
Francois Roux
Die Summe unseres Glücks
Frankreich, 1981: Politisch ist die Nation in Aufbruchstimmung. Der siebzehnjährige Rodolphe feiert mit, er sieht seine Zukunft in der Politik, hier möchte er seine Ideale verwirklichen. Auch seine Freunde Paul, Benoît und Tanguy haben große Pläne, das ganze Leben liegt vor ihnen. Als sie sich Jahre später treffen, hat Rodolphe es ins Parlament geschafft, eine kluge Frau, einen einflussreichen Schwiegervater. Doch wie seine drei Freunde hat er Opfer gebracht, um sein Ziel zu erreichen – war der Preis zu hoch? Was ist übrig von den Träumen ihrer Jugend?
Ein beeindruckender Gesellschaftsroman! Ein versiertes Porträt über drei Jahrzehnte beobachtete, sehr unterschiedliche Lebensläufe. Ein Entwicklungsroman, der vier Jungs begleitet wie sie zu Männern werden und ihren Platz in der Gesellschaft finden. Das liest man gerne. Man kann das Handeln der Figuren nachvollziehen, man kann sich mit ihnen identifizieren. Was ist wichtiger, mehr Geld zu verdienen und unglücklich zu sein, weil man gefangen ist im System, oder weniger zu haben, und dafür das zu tun, was man liebt. Das ist eine Grundausrichtung des Romans. Die vier Freunde sind: der schwule Paul, der Medizin studieren soll, aber lieber Schauspieler werden will; der forsche Tanguy, der kein Mädchen, keine Frau auslässt, wo wird er später landen?; der selbstherrliche Rodolphe, der Politiker werden will und alles dafür tut, seine Ziele zu erreichen; der freiheitsliebende Benoît, der Fotograf werden will, und nichts von den engen Zügeln der Gesellschaft hält. Es werden die Jahre von 1981 bis 1984 und 2009 bis 2012 im Leben der Hauptfiguren geschildert. Jeder der vier Freunde entwickelt sich in eine ganz andere Richtung. Was ist noch übrig von dem, was sie einst zu Freunden machte? Ein Roman, der einen nicht mehr loslässt!
Piper, 635 Seiten; 24,00 Euro
Astrid Rosenfeld
Zwölf Mal Juli
Jakob und Juli, das klang wie ein Versprechen. Doch nun ist es schon Jahre her, dass er es gebrochen hat und Juli Knall auf Fall verlassen hat. Juli, eine Schriftstellerin mit Stapeln unbezahlter Rechnungen, exzentrischen Freunden und einer Neigung zu überlebensgroßen Träumen. Nun kündigt Jakob per E-Mail seine Rückkehr an. In zwölf Tagen kommt er wieder. Da soll sie Jakob wiedersehen – den Mann, der ihr das Herz gebrochen hat. In diesen zwölf Tagen trifft sie auf zwölf sehr unterschiedliche Menschen. Es soll das Porträt einer eigenwilligen jungen Frau entstehen.
Ein Roman, der Spannung durch die kluge Idee erzeugen sollte. Ein Roman, der eine Aussage haben sollte. Der Roman hat viele „sollte“. Leider erfüllt er kaum eine Erwartung, die man in ihn setzt. Die Geschichte ist nicht nur relativ kurz, sondern auch mehr als nur relativ langweilig. Mau, ohne die eigentlich gedachten großen Höhepunkte. Denn die Begegnungen mit u. a. Mutter, Zahnarzt, Nachbarn, Literaturagent, Polizist, Cousine ähneln eher Kurzgeschichten, und Juli hält das alles irgendwie zusammen. Zugang bekommt man zu keiner der Figuren. So schnell wie sie kommen, sind sie auch schon wieder weg. Und für den Roman gilt auch: schnell weg damit.
Auch als Hörbuch erhältlich bei Diogenes Hörbuch. Luis Helm zeigt ihr Können, wie beim neuen Roman von Jojo Moyes. Doch wenn die Story mau ist, tut sich auch die Sprecherin schwer. 19,99 Euro.
Diogenes, 156 Seiten; 20,00 Euro
Val McDermid
Der lange Atem der Vergangenheit
Edinburgh. In einem baufälligen viktorianischen Gebäude wird eine skelettierte Leiche mit einem Einschussloch im Schädel gefunden. Detective Chief Inspector Karen Pirie und ihre Cold Cases Unit sollen den rätselhaften Fall aufklären. Um wessen sterbliche Überreste handelt es sich? Karen hat kaum Anhaltspunkte, doch ihre Nachforschungen führen sie dann zurück in die neunziger Jahre, in die Zeiten der Balkankriege. In einem Labyrinth aus persönlichen und politischen Konflikten, aus falschen Identitäten und sorgsam gehüteten Geheimnissen droht sich die Spur zu verlieren …
Ein Kriminalroman der Art unwiderstehlich, eben Val McDermid! „Der lange Atem der Vergangenheit“ – ein Kriminalroman, bei dem der deutsche Titel sehr gut passt. Eine böse Tat kennt kein Vergessen. Denn die Vergangenheit ruht nie. Sie ist immer präsent und kann einen immer einholen. Der Roman thematisiert die Jugoslawien-Kriege und wie sie bis ins Heute reichen, und er behandelt auch aktuelle politische Themen. Val McDermid erzählte die Geschichte in unterschiedlichen Erzählsträngen. Zahlreiche Figuren ergeben zusammen ein Geflecht, die den ambitionierten Kriminalroman rasch vorantreiben. Trotz der mehreren Hauptdarsteller sind die Figuren alle mit viel Leben ausgestattet. Man hat schnell Zugang zu ihnen. Ein spannender und aufwühlender Kriminalroman!
Droemer, 439 Seiten; 19,99 Euro
Jojo Moyes
Ein ganz neues Leben
Louisa Clark hat sich verändert, aber sie führt ein anderes Leben, als dass Will Traynor sich für sie gewünscht hat. Denn wie lebt man weiter, wenn man den Menschen verliert, den man am meisten liebt? Eine Welt ohne Will, das ist für Lou immer noch schwer zu ertragen. Lou existiert nur. Bis es eines Tages an der Tür klingelt – und sich eine Verbindung zu Will auftut, von der niemand geahnt hat. Endlich schöpft Lou wieder Hoffnung. Hoffnung auf ein ganz neues Leben.
„Ein ganz neues Leben“ ist die Fortsetzung vom Weltbestseller „Ein ganzes halbes Jahr“. Eine Story, die einen zu Tränen rührte und Millionen begeisterte Leser fand. Die Fortsetzung kann qualitativ nicht mit dem Vorgänger mithalten. Es fehlt das Besondere, das „Ein ganzes halbes Jahr“ ausgemacht hat. Aber trotzdem lässt sich der Roman schön lesen. Auch ist es schön, die bekannten Figuren wieder zu erleben. Die Magie des Vorgängers wird dadurch aber trotzdem etwas entzaubert. „Ein ganz neues Leben“ – eine lebhafte und bewegende Geschichte.
Auch als Hörbuch erhältlich bei Argon Hörbuch. Luis Helm ist bekannt für ihre einfühlsamen und frischen Lesungen der Roman von Jojo Moyes. Auch bei „Ein ganzes Leben bringt sie ihre Stärken wieder voll zur Geltung. 19,99 Euro.
Wunderlich, 521 Seiten; 19,95 Euro
Kerstin Gier
Silber – Das dritte Buch der Träume
Liv Silber steht vor drei Problemen. Erstens: Sie hat Henry angelogen. Zweitens: Die Sache mit den Träumen wird immer gefährlicher. Arthur hat Geheimnisse der Traumwelt ergründet, durch die er unfassbares Unheil anrichten kann. Er muss unbedingt aufgehalten werden. Drittens: Livs Mutter Ann und Graysons Vater Ernest wollen im Juni heiraten. Auch hier gibt es Probleme. Liv hat alle Hände voll zu tun, um die drohenden Katastrophen abzuwenden …
Die „Silber“-Trilogie von Bestsellerautorin Kerstin Gier ist spannend, überraschend, einfallsreich und hinterlässt einen bleibenden Eindruck! Schade, dass mit dem „dritten Buch der Träume“ nun alles zu Ende geht. Im Abschlussband überschlagen sich dann auch noch einmal die Ereignisse. Die kecke Liv Silber wird man vermissen.
FJB, 464 Seiten; 19,99 Euro
Hörbuch der Woche
Andrea Camilleri
Der ehrliche Dieb
Ein Duell auf hoher See mit rätselhaftem Motiv. Ein Eifersuchtsdrama, in dem ein Pfirsichkern eine besondere Rolle spielt. Eine Serie von Diebstählen, bei denen der Täter einen Teil der Beute zurücklässt. Schon bei der Lösung seiner ersten Fälle zeigt sich Commissario Montalbanos unbestechlicher Blick für das allerkleinste, noch so unwichtig erscheinende Detail – immer um die Wahrheit bemüht, mit viel Herz für die Nöte kleiner Sünder, und stets auf der Suche nach Zeit für seine Verlobte Livia.
Die fünf Kriminalgeschichten haben einen gewissen Charme, wie fast immer bei Andrea Camilleri. Er bietet einem vergnügliche und spannende Stunden. Wirklich schön zum abschalten! Wobei mir der Kriminalfall mit dem Pfirsichkern am besten gefallen hat. Da hätte man fast einen eigenen Roman daraus machen können. Auf dem Cover steht: fünf „neue“ Kriminalgeschichten. Das stimmt nicht so ganz, denn die Geschichten sind nicht mehr ganz taufrisch. Hier gab es noch Lira, Gadaffi war noch Präsident und „Alleine gegen die Mafia“ lief gerade neu im italienischen Fernsehen. Das ändert aber nichts an der Qualität, denn Andrea Camilleris Krimis sind zeitlos. Wie immer liest auch diesen Montalbano Bodo Wolf. Commissario Montalbano und Bodo Wolf sind schon zusammengewachsen. Man mag sich gar keine andere Stimme mehr vorstellen, die Montalbano auf Ganovenjagd vorliest.
Auch als Hardcover erhältlich bei Lübbe, 18,00 Euro.
Lübbe Audio, 4 CDs, 242 Minuten; 12,00 Euro
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