BuchKolumne 21.08.2023 Nr. 783
Anika Landsteiner – Nachts erzähle ich dir alles
Arnold Stadler – Irgendwo. Aber am Meer
Ilko-Sascha Kowalczuk – Walter Ulbricht – Der deutsche Kommunist
Frank Goldammer – In Zeiten des Verbrechens
Craig Schaefer – Die Hexen von New York
Anika Landsteiner – Nachts erzähle ich dir alles
Léa flieht vor ihrem Leben. Sie tauscht den deutschen Sommer gegen den südfranzösischen und fährt auf das alte Familienanwesen an der Côte d’Azur. Doch ihr Plan, dort zur Ruhe zu kommen, geht nicht auf: Am Abend ihrer Ankunft unterhält sie sich mit einer jungen Frau, die noch in derselben Nacht ums Leben kommt – und Léa ist die letzte, die sie gesehen hat. Plötzlich steht Émile, der Bruder der jungen Frau, vor Léas Tür. Ihn quälen viele Fragen, weil er erfahren hat, dass seine Schwester schwanger war. Nacht für Nacht erzählen sie sich von ihren längst nicht mehr heilen Familien, sie streiten mit Haut und Haar über Schuld, Angst und Schweigen. Während Léa versucht, zurück ins Leben zu finden, setzt Émile alles daran, zu ergründen, was zum Tod seiner Schwester geführt hat. Wie kann man Abschied von der Vergangenheit nehmen, ohne zu vergessen?
Die junge Autorin Anika Landsteiner hat mit ihrem Bestseller „So wie du mich kennst“ einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Schafft sie das auch mit ihrem neuen Roman? Ja! „Nachts erzähle ich dir alles“ spricht gesellschaftlich wichtige Themen an. Unter welchem Druck stehen Frauen von außen, wenn sie ungewollt schwanger sind, wenn sie zu einer Entscheidung gedrängt werden, das Kind zu behalten, auch wenn sie es nicht wollen. Es ist der Körper der Frau und ihr Recht darüber zu entscheiden. Kein anderer darf das! Doch, in der Realität ist es anders. Es gibt zahlreiche Beispiele, in Europa und natürlich auch in Amerika. Einer Frau wird das Recht auf ihren eigenen Körper abgesprochen. Eines der zentralen Themen des Romans, die verschiedene Wege der Erzählung in Gang bringen, abbiegen, um dann wieder auf den Kern zu kommen. Ein weiteres Thema ist die Liebe. Wen darf man lieben und wen nicht? Was macht die Liebe mit uns? Was bedeutet es fürs eigene Leben, wenn die Liebe dazwischenfunkt? Und dazu noch das schöne Frankreich-Setting. Das schöne Haus, der Garten, der Pool. Ein Paradies, über dem dunkle Wolken aufziehen, um dann doch wieder weißen, bis hin zum rosaroten Platz zu machen. Eine Geschichte, die einer aufwühlenden Seelenstriptease-Achterbahnfahrt gleichkommt!
Krüger, 352 Seiten; 24,00 Euro
Arnold Stadler – Irgendwo. Aber am Meer
In „Irgendwo. Aber am Meer“ reist ein Schriftsteller zu einer Kulturveranstaltung in den Westerwald, wo er an einem „Talk“ teilnehmen soll. Aber der „Event“ wird zum Fiasko. Befragt, was sein Beitrag zur Energiewende sei, wie er zu Greta Thunberg und den im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen stehe, verstrickt er sich in einen hilflosen Antwortversuch. „Das ist ja das reinste weiße Altmännergeschwätz!“, schallt es aus dem Publikum. Erholungsbedürftig bricht der „Experte im Nichtwissen“, dem die Gegenwart fremd geworden ist, zu einem Sehnsuchtsort seines Lebens auf: ein Haus mit Blick auf die griechische Insel Ithaka. Es wird eine tragikomische Reise durch Erinnerungen, Geschichten und Gedanken, eine Suche nach unserem Platz in der Welt: dem Ort, an dem wir glücklich sein können. Irgendwo. Aber am Meer.
Arnold Stadler ist ein gewiefter Literat! Schon seit Jahrzehnten weiß er seine Leserschaft mit seinen Büchern zu überzeugen. Einen Teil seiner Leserschaft, denn es gibt nicht wenige, die tun sich aber auch sehr schwer mit Arnold Stadlers Büchern. In „Irgendwo. Aber am Meer“ wird sich seine Leserschaft wieder spalten, denn der Roman hat durchaus Wichtiges zu sagen, über das Leben, die Gesellschaft, über alles, was um uns herum irgendwie einzustürzen scheint, was man bisher kannte. Auch der Humor kommt immer wieder durch. Doch ist die Geschichte auch allzu oft bleischwer niedergeschrieben. Arnold Stadler verstrickt sich in Belanglosem und das Buch wird so keinesfalls zu einem Buch-Event, eher zu einem Stein, den man ins Meer werfen möchte. Aber mit Büchern tut man das nicht. „Irgendwo. Aber am Meer“, zumindest der Titel ist Leseurlaub!
S. Fischer, 224 Seiten; 24,00 Euro
Ilko-Sascha Kowalczuk – Walter Ulbricht – Der deutsche Kommunist
Über Konrad Adenauer, die Gründungsfigur der Bundesrepublik, gibt es zahlreiche Studien, auch eine berühmte zweibändige Biografie. Zu Adenauers Pendant im Osten existiert bislang nichts Vergleichbares. Dabei ist Walter Ulbricht für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts eine kaum weniger prägende Figur. Die Biografie beschreibt den Aufstieg des um die Jahrhundertwende in Leipzig geborenen Sohnes eines Schneiders zum Führer der deutschen Kommunisten, der zum eigentlichen Gründer der DDR wurde und 1961 die Mauer errichten ließ. Dabei wird nicht nur den Funktionär Ulbricht neu entdeckt, sondern auch der Menschen Ulbricht, wie es bislang nicht zu lesen war. Die Biografie erklärt Ulbricht aus seiner Zeit und erzählt nicht über ihn mit dem Wissen von später. Diese Biografie ist mehr als das. Es ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts gesehen durch die Augen eines deutschen Kommunisten.
Ilko-Sascha Kowalczuks hat an dieser Biografie fast sein ganzes Leben gearbeitet. Viele, sehr viele Jahre. Herausgekommen ist eine umfassende wissenschaftliche Biografie, in der er aus langjährigen Quellenrecherchen in Dutzenden Archiven im In- und Ausland schöpfte. Es ist anzumerken: Walter Ulbricht war einer der einflussreichsten Politiker des 20. Jahrhunderts, in einer Reihe stehend mit Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Kohl oder Adolf Hitler. Das muss einem nicht gefallen, aber so ist es nun einmal. Eines seiner berühmtesten Zitate ist: „Es ist doch ganz klar: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten“. Das vergisst man nicht wieder. Diese Ulbricht-Biografie ist wirklich gigantisch! Über 1.000 Seiten. Und es handelt sich nur um den ersten Band, der die Jahre 1893 bis 1945 umfasst. Eine Mammut-Biografie, die ausgesprochen vielfältig und spannend präsentiert wird!
C. H. Beck, 1.006 Seiten; 58,00 Euro
1917 kehrt der 21-jährige Max Heller verletzt und traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Im von Hunger, Gewalt und politischen Unruhen geprägten Dresden sucht er nach einem Weg zurück ins Leben, nach Ablenkung, nach Liebe und nach einer Aufgabe. Die Konfrontation mit brutaler Bandenkriminalität, sein großer Gerechtigkeitssinn und der Rat seines Großvaters Gustav Heller, einem Kriminalrat a.D., führen ihn in den Polizeidienst. Als frischgebackener Schupo verliebt sich Heller in die junge Karin. Doch der Standesunterschied scheint eine Beziehung unmöglich zu machen.
Frank Goldammers Held Max Heller ist Kult! Als die 7-bändige Krimireihe um Max Heller mit „Feind des Volkes“ zu Ende ging, musste ich schon eine Träne verdrücken. Umso überraschter war ich nun, als ich „In Zeiten des Verbrechens“ in Händen hielt. Die Vorgeschichte der großen Krimireihe, mit einem junge Max Heller. Auch wenn Kriminalroman auf dem Cover steht, so ist es diesmal doch eher ein sehr spannender Roman, der von den Zeiten nach dem Ende des 1. Weltkrieges handelt. Wie die Menschen leben musste, was sie erleiden musste, wie sie sich durchgekämpft haben. Die Geschichte beginnt 1917 und endet 1924. Abstriche an der Qualität bei der Reihe gibt es mit diesem Buch natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Wenn Sie bisher noch kein Buch mit Frank Goldammers Held Max Heller gelesen haben, dann wird Sie dieses Buch auf jeden Fall überzeugen, alle anderen Bände dieser großen Krimireihe zu lesen!
dtv, 446 Seiten; 17,00 Euro
Craig Schaefer – Die Hexen von New York
In New York erfuhr Journalist Lionel Page, dass das Übersinnliche real und er selbst ein Hexer ist. Als seine Freundin Maddie verschwindet, macht er sich auf die Suche nach ihr. Die Spur führt ihn zu Cordell Spears, einem Millionär, der Ausgrabungen in Griechenland finanziert und eine Ausstellung der Fundstücke plant. Als Cordell von einer Frau angegriffen wird, die ihn des Mordes an ihrem Mann, einem Archäologen, beschuldigt und ein kleines Tongefäß mit dem Namen Tisiphone bei sich trägt, wird Lionel klar, dass es bei dieser Ausstellung um mehr geht als bloßen Marmor und dass auch Maddie etwas damit zu tun hat. Für Lionel beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, der ihn zurück nach New York führt – direkt zu Göttern, Helden und Furien.
Craig Schaefer ist das Pseudonym der Autorin Heather Schaefer, die durch ihre erfolgreichen Urban-Fantasy-Serien mittlerweile eine große Leserschaft um sich geschart hat. Mit ihrer „Die-Geister-von-New-York“-Reihe stellt sie erneut unter Beweis, warum sie so viele begeisterte LeserInnen hat. Der erste Teil der Reihe war schon sehr vielversprechend, und mit dem zweiten Teil „Die Hexen von New York“ setzt Craig Schaefer das nahtlos fort. Starke Figuren, starke Story, ideenreich umgesetzt. Spannende und fantastische Leseunterhaltung!
Heyne, 509 Seiten; 16,99 Euro