April 25, 2024

Kolumne 02.05.2022 Nr. 715

BuchKolumne 02.05.2022 Nr. 715

Elizabeth George –  Was im Verborgenen ruht
Leïla Slimani – Der Duft der Blumen bei Nacht
Mary Beard
Zwölf Cäsaren
Jan Bazuin
Tagebuch eines Zwangsarbeiters
Simon Stålenhag
Das Labyrinth

Elizabeth George – Was im Verborgenen ruht

Was im Verborgenen ruht Elizabeth George

Als die Polizistin Teo Bontempi nach einer schweren Verletzung nicht mehr aus dem Koma erwacht, weist alles auf einen Mordanschlag hin. Weil Teo zuletzt vor allem in der nigerianischen Gemeinde Nord-Londons ermittelte, beginnt Detective Superintendent Thomas Lynley auch genau dort mit der Suche nach dem Täter. Zusammen mit DS Barbara Havers taucht er in eine Welt ein, die nichts mit dem privilegierten britisch-bürgerlichen Leben, wie es Lynley bisher kannte, gemein zu haben scheint. Eine Welt, in der Schweigen und Unverständnis mehr als sonst ihre Arbeit behindern. Zumal auch Teo selbst nicht nur ein Geheimnis zu verbergen hatte.

Elizabeth George versteht es wie keine andere Krimi-Autorin weltweit, eine Krimi-Handlung mit einem Gesellschaftsroman zu verbinden. Und das in kolossalem, und immer viel zu geringen, Umfang! Auch diesmal füllt sie 800 Seiten und es sind wie immer viel zu wenige. Ich wäre ihren Figuren und dem brisanten Thema gerne noch länger gefolgt. Zentral ist diesmal das Thema weibliche Genitalverstümmelung. „Sie waren Frauen. Der Sinn ihres Lebens bestand darin, den Männern zu dienen, an die sie durch Heirat oder Geburt gebunden waren.“ Die Aussage einer der Figuren in diesem Buch. Eine absolute Horrorvorstellung! Und doch in so vielen Ländern Alltag, tatsächlich auch in westlichen Ländern. Elizabeth George beschreibt wie eine afrikanische, eine nigerianische Parallelkultur in London, in England ihre Bräuche weiterlebt und Frauen, kleine Mädchen verstümmelt. Es ist so schockierend das zu lesen! Um dieses Thema hat Elizabeth George einen spannenden Kriminalroman gesponnen. Dazu gibt es auch wieder reichlich Lynley und Harves, aber die Dosis ist nie hoch genug. Von den beiden unwiderstehlichen Hauptfiguren möchte man immer so viel mehr lesen. „Was im Verborgenen ruht“ ist ein Krimi- und Gesellschaftsroman der absoluten Extraklasse!

Goldmann, 794 Seiten; 26,00 Euro

Auch als Hörbuch erhältlich bei der Hörverlag. Stefan Wilkening liest „Was im Verborgenen ruht“. Wie schon die Romane zuvor liest Stefan Wilkening erneut einen Elizabeth-George-Krimi in großer Vollendung! 26,00 Euro.

Elizabeth George – Was im Verborgenen ruht – Hörprobe: 5:00 Min.

Leïla Slimani – Der Duft der Blumen bei Nacht

Die Bestseller-Autorin Leila Slimani ist eine der weiblichen Stars der französischen Literatur. In diesem sehr persönlichen Buch erzählt sie von einer ungewöhnlichen Nacht, die sie allein im Museum Museo Punta della Dogana in Venedig verbringt, dem einstigen Zollgebäude der Serenissima. Einem Ort, an dem sich seit jeher Orient und Okzident begegnen und der zum Sinnbild ihrer eigenen Geschichte wird. Leïla Slimani erzählt von ihrer Familie und ihrer Kindheit in Rabat, vom Alltag in Paris als Mutter und Schriftstellerin, vom Leben zwischen den Kulturen, ihrer Aufgabe als Schriftstellerin und gesellschaftspolitisch engagierter Frau.
 
Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani hat die literarische Welt und mich mit ihren Romanen „Dann schlaf auch du“, „All das zu verlieren“ und „Das Land der Anderen“ begeistert. Umso gespannter war ich auf ihr neues Buch „Der Duft der Blumen bei Nacht“. Ein Buch, das eine innere Zerrissenheit bei mir ausgelöst hat. Einerseits erzählt die Autorin entwaffnend ehrlich und gibt tiefe Einblicke in ihre Gefühls- und Gedankenwelt (darunter auch dieser Satz: ‘Die schlimmsten Feinde eines Schriftstellers sind das Telefon und Besucher’; ich kenne das nur zu gut, als Kritiker und Dauerleser und da ich ja selbst schon über 40 Romane geschrieben habe), andererseits ist das schmale Büchlein, das auch noch extra groß gedruckt ist, ein Porträt der Langeweile. Zweifellos, schöne Sätze und relevante Gedanken gibt es auch darin nicht wenige, aber man muss auch ehrlich sein, würde nicht Leïla Slimani auf dem Cover dieses Büchlein stehen, würde es kaum LeserInnen finden. Und das ist kein gutes Zeugnis für ein Buch!
 

Luchterhand, 158 Seiten; 20,00 Euro

 Mary Beard – Zwölf Cäsaren

Das Buch nimmt Sie mit auf eine Reise durch zwei Jahrtausende Kunst- und Kulturgeschichte: Ausgehend von den kaiserlichen Porträts und Skulpturen der römischen Politik, erzählt sie von fluiden Identitäten, beabsichtigten und unbeabsichtigten Verwechslungen und grotesken Fälschungen. Sie rekonstruiert Tizians verlorenes Kaiserzimmer und erkundet die berühmten Cäsarenteppiche Heinrichs VIII. Sie macht sichtbar, wie die römischen Kaiser in den Kunstwerken der Renaissance fortleben und in welcher Form sie in den Arbeiten einer afroamerikanischen Bildhauerin im 19. Jahrhundert auftauchen.

Mary Beard ist die Autorin des Weltbestsellers „SPQR – Die tausendjährige Geschichte Roms“. Nun widmete sie sich den Cäsaren in ihrem aktuellen Werk „Zwölf Cäsaren – Gesichter der Macht von der Antike bis in die Moderne“. Wer die Geschichte Roms und die der Cäsaren spannend findet, für den ist dieses große Werk eine Pflichtlektüre! Mary Beard hat mich tief in diese Welt eintauchen lassen. In die Welt der Cäsaren und was in der Geschichte aus ihnen wurde. Die zwölf Cäsaren waren: Julius Cäsar 48 – 44 v. Chr., Augustus 31 v. Chr. – 14 n. Chr., Tiberius 14 – 37, Caligula 37 – 41, Claudius 41 – 54, Nero 54 – 68, Galba Juni 68 – Januar 69, Otho Januar 69 – April 69, Vitellius April 69 – Dezember 69, Vespasian Dezember 69 – 79, Titus 79 – 81 und Domitian 81 – 96. Fast alle wurden ermordet, von ihren Ehefrauen vergiftet oder zum Suizid gezwungen. Die Hauptthemen des Buches sind: „Der Kaiser an der Mall“, „Wer ist wer der zwölf Cäsaren“, „Antike und moderne Münzen und Porträts“, „Die zwölf Cäsaren – mehr oder weniger“, „Die berühmtesten Cäsaren von allen“, „Satire, Subversion und Mord“ und „Cäsars Ehefrau … über jeden Verdacht erhaben?“.

Propyläen, 524 Seiten; 36,00 Euro

 Jan Bazuin – Tagebuch eines Zwangsarbeiters

Rotterdam, im Herbst 1944: Der neunzehnjährige Jan Bazuin erlebt Kriegsalltag und Hungerwinter. Täglich muss Brennmaterial und Essbares beschafft werden. Sein Vater droht, ihn von den Deutschen abholen zu lassen, wenn er nicht auszieht. Einziger Lichtblick ist die Freundin Annie. Doch Anfang Januar 1945 ändert sich alles. Jan wird zur Zwangsarbeit nach Bayern verschleppt.

Das kürzlich entdeckte, nun erstmals publizierte Tagebuch des Niederländers Jan Bazuin ist das Zeugnis eines Rotterdamer Jugendlichen, der während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurde. Die renommierte Zeichnerin Barbara Yelin hat die knappen, schnörkellosen Notizen illustriert und macht so das Geschehen auf unheimliche Weise präsent. Kein Krieg mehr in Europa! In der Welt. Das ruft einem dieses Buch ganz laut zu. Und doch hat ein Diktator es wieder getan, einen Krieg in Europa zu führen. „Tagebuch eines Zwangsarbeiters“ zeigt der jungen Generation (und nicht nur der) auf eindringliche Art, wie Krieg und die Folgen von einem jungen Erwachsenen wahrgenommen und durchlitten werden. Die Aufzeichnungen enden am 22. April 1945, kurz nach Jans riskanter Flucht aus dem „Ausländerlager“ in München-Neuaubing. Doch was er bis dahin alles berichtet, ist schockierend, aber auch immer wieder mit einem Stückchen Hoffnung versehen. „Tagebuch eines Zwangsarbeiters“ – ein Buch, das hoffentlich viele LeserInnen findet. Es ist ein so wichtiges Zeitzeugnis!

C. H.Beck, 158 Seiten; 20,00 Euro

  Simon Stålenhag – Das Labyrinth

Die schwarzen Sphären kamen aus dem Nichts. Manchmal schwebten sie allein über den Himmel, manchmal in Gruppen, als folgten sie einem Plan. Die Toxine, die sie in die Umwelt entließen, verseuchten unsere Atmosphäre und machten alles Leben an der Erdoberfläche unmöglich. Nur einigen wenigen Menschen gelingt die Flucht in schwer bewachte unterirdische Bunkeranlagen. Doch das Überleben hat seinen Preis.

Der Schwede Simon Stålenhags faszinierte schon mit „Tales from the Loop“ und „The Electric State“ seine LeserInnen. Nun folgt das dritte Buch „Das Labyrinth“ des schreibenden Künstlers. Das Buch ist eine Mischung aus einem Roland-Emmerich-Blockbuster und einem Stephen-King-Roman. Erschreckend gut! Simon Stålenhag erschafft zu der düsteren Geschichte moderne Kunst, die zu leben scheint. Seine Bilder haben in Zügen etwas von den Meisterwerken eines Edward Hopper. „Das Labyrinth“ – ein Buch, eine tolle Geschichte, ein Kunstwerk!

Tor, 150 Seiten; 36,00 Euro