Kolumne vom 10.07.2017 – Nr. 464
Jennifer Haigh
Licht und Glut
Bakerton im ländlichen Pennsylvania hat schon bessere Zeiten gesehen. Die einst blühende Region ist durch den Niedergang von Kohle und Stahl schwer gezeichnet. Ist es da Segen oder Fluch, dass ein Energiekonzern den verarmten Landbesitzern plötzlich das große Geld verspricht? Naivität und Gier, Hysterie und blinder Aktivismus, Ehekrisen und unverhoffte neue Allianzen – der Erdgas-Boom bringt die kleine eingeschworene Gemeinschaft aus den Fugen.
Nach dem Klassiker „Öl“ von Upton Sinclair von 1927 ist „Licht & Glut“ von Jennifer Haigh gut 90 Jahre später ein würdiger Nachfolger, wenn es um das Thema Ausbeutung von Rohstoffen in den USA geht und was das mit den Menschen dort macht. Es zeigt auf der einen Seite die Interessen der Energiemultis, die nur so viel Pachtverträge wie möglich haben wollen, um überall ihr Fracking durchführen zu können, und auf der anderen Seite die Landeigentümer, die schnelles Geld verdienen wollen, und dabei übers Ohr gehauen werden, oder eben nicht unterzeichnen wollen und so den Zorn der Nachbarn auf sich ziehen. Oder auch ihre Lebensgrundlage verlieren, weil kein Mensch Milch von einem Farmer will, bei dem auf dem Nachbargelände gefrackt wird. Ganz abgesehen davon, was Fracking mit dem Grundwasser macht. Feuer aus dem Wasserhahn ist da nur die Spitze des Eisbergs. Ein brandaktueller Gesellschaftsroman, der einem das immer fremder werdende Amerika menschlich sehr nahe bringt!
Droemer, 476 Seiten; 22,99 Euro
Erik Storey
Karges Land
Kurz nachdem Clyde Barr aus dem Gefängnis entlassen worden ist, bekommt er einen Anruf von seiner Schwester Jen. Sie bittet ihn um Hilfe, sie aus den Klauen eines Drogenbosses zu retten. Er weiß weder wo sie ist, noch wie viel Zeit er hat. Clyde kehrt zurück in seine Heimat Colorado. Dort beginnt eine Jagd gegen die Zeit und ein Kampf gegen einen der mächtigsten Verbrecher in diesem Teil der USA. Und nur die Bardame Allie und ein paar alte Freunde stehen Clyde Barr zur Seite, der auch noch mit ein paar Feinden aus seiner Vergangenheit abzurechnen hat …
„Karges Land“ ist das erste Buch des Amerikaners Erik Storey. Vor dem Schreiben hat er auf einer Ranch und als Hundeschlittenführer, Jäger, Barkeeper und Schlosser gearbeitet. Ein Mann mit vielen Talenten, Schreiben gehört auch dazu, auch wenn ihm hier noch die nötige Balance fehlt. Das Buch hat eine durchaus gute Story, auch wenn diese nicht neu ist, zahlreiche spannende Momente, brutale Action, ausschweifende Landschaftsbeschreibungen. Aber darin liegt auch das Problem, Erik Storey weiß nicht, wo er zu viel und wo er zu wenig schreibt und beschreibt. So kommt der Thriller immer wieder aus dem Tritt. „Karges Land“ – karger Thriller.
Piper, 320 Seiten; 15,00 Euro
Dora Heldt
Wir sind die Guten
Ein Jahr ist vergangen, seit das Ermittlerteam um Karl Sönnigsen der Polizei von Westerland erfolgreich gezeigt hat, wie man einen Serientäter stellt. Jetzt bekommt Karls Bekannte Helga einen Anruf von einer Freundin: Deren Mieterin Sabine ist spurlos verschwunden. Die Polizei von Westerland indes ermittelt im Fall eines unbekannten Toten am Fuß der roten Klippen, und so kann Karls Truppe in aller Ruhe auf die Suche nach Sabine gehen. Die Ermittlungen nehmen ihren turbulenten Lauf, als herauskommt, dass beide Fälle miteinander zu tun haben.
Dora Heldt bietet Krimiunterhaltung allererster Güte! Nach „Böse Leute“ bietet auch ihr zweiter Krimi „Wir sind die Guten“ alles was man von Dora Heldt kennt. Ganz vorne an stehen natürlich ihre liebreizenden und schrulligen Charaktere, die man schnell ins Herz schließt. Mit ihnen den Alltag zu erleben und auf Verbrecherjagd zu gehen macht großen Spaß. Dora Heldt bringt die Stärken aus ihren Unterhaltungsromanen in die Geschichte ein und verbindet diese mit einem spannenden, humorvollen und lebensnahen Kriminalfall. Genau mein Fall!
dtv, 507 Seiten; 15,90 Euro
Hisham Matar
Die Rückkehr
Hisham Matar wuchs als Kind in Libyen auf, doch die Diktatur unter Gaddafi hat seine Familie früh zerstört. Er selbst lebt seit langem in England, sein Vater wurde in das berüchtigtste Gefängnis von Libyen verschleppt. In dem kurzen Zeitfenster nach Gaddafis Sturz und vor dem neuen Bürgerkrieg kehrt Hisham Matar in seine Heimat zurück, um endlich vor Ort nach seinem Vater zu suchen. Sein Buch ist ein bewegendes Dokument.
In Hisham Matars „Die Rückkehr“ lernt der Leser ein Land, seine Geschichte und seine Leute kennen, ein Land, das man nur von Schreckensmeldungen aus den Nachrichten kennt. Doch die Menschen und das Land haben auch etwas anderes zu erzählen, als nur den Horror, den wir im Westen aus Libyen erfahren. Das Land steckt aber voller Gefahren, daran gibt es nichts zu zweifeln. Vorwiegend ist „Die Rückkehr“ aber die Suche von einem Sohn nach seinem verlorenen Vater. Der libysche Schriftsteller Hisham Matar arbeitet in seinem bisher persönlichsten Buch die Geschichte seiner Familie, die Geschichte seines Vaters auf. Spannend, intensiv, zeitgeschichtlich sehr interessant.
Luchterhand, 288 Seiten; 20,00 Euro
Ann-Kathrin Eckardt
Flucht und Segen
Ein Jahr nach den Willkommensszenen und dem Merkel’schen Glaubensbekenntnis „Wir schaffen das“ stellt sich die Frage, wie wir das alltägliche Zusammenleben mit den Flüchtlingen bewerkstelligen können. Wie die unterschiedlichsten Mentalitäten mit der unseren zu vereinen sind und wie die vielen Menschen nicht nur ein Leben in Frieden und Freiheit bei uns finden, sondern auch ein Obdach und Arbeit. Die Autorin, Ann-Kathrin Eckardt, Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, zieht hier eine ehrliche Bilanz.
Flüchtling. Ein Begriff, der so viel in einem vereint. Bei dem einen löst er Gefühle der Hilfsbereitschaft aus, beim anderen den Horror, dass Deutschland untergeht. Ann-Kathrin Eckardt hat geholfen, haucht dem Begriff Flüchtling Leben ein. Zeigt Geschichten auf, die hinter dem Begriff Flüchtling stehen. Und sie erzählt von ihrer Zeit als Helferin, die einem viel geben kann, einem nach und nach aber auch immer mehr abverlangt. Es gibt positive und frustrierende Erlebnisse. Integration in Deutschland. Das liest sich auch so einfach, doch hinter diesen drei Worten steckt ein hochhaushoher Turm, den man erstmal bewältigen muss.
Pantheon, 238 Seiten; 14,99 Euro
Hörbuch der Woche
Rath & Rai
Bullenbrüder
Holger Brinks ist Kommissar bei der Mordkommission. Sein Bruder Charlie schlägt sich als Privatschnüffler durchs Leben. Der eine ein korrekter Beamter mit Familie, der andere ein ausgebuffter Hallodri mit Bindungsproblemen. Als Charlie mal wieder von einer Beinahe-Traumfrau vor die Tür gesetzt wird, bittet er seinen Bruder um Obdach – und landet auf der Luftmatratze in Holgers Gartenlaube. Der Kommissar steht beruflich unter Druck: Der engste Vertraute des Berliner Unterwelt-Bosses Bobby Schütz wurde tot im Aufzug eines Berliner Luxushotels gefunden – mit einem Koffer Kokain. Pikanterweise hat auch Charlie Verbindungen zu Schütz und seinem Clan …
Ein verrückt-guter Krimi, der mit einer spannenden Story, gut gezeichneten Figuren und einigem an Humor aufwarten kann! Was aus dieser echt guten Story etwas Außergewöhnliches macht, ist der Sprecher des Hörbuchs. Christoph Maria Herbst macht mit seiner Interpretation aus der Geschichte einen Kinofilm für die Ohren, der gleich mit zahlreichen Rollen besetzt ist. Christoph Maria Herbst schlägt mit seiner Stimme Purzelbäume. Das Hörbuch ist ein Fest der Unterhaltung! Und bei der Rolle des Bobby Schütz spricht er praktisch 1 zu 1 wie Martin Semmelrogge mit seiner unverkennbaren Knautschstimme. Das schafft wohl außer dem Semmelrogge selbst nur der Herbst.
Auch als Hardcover erhältlich bei Wunderlich, 19,95 Euro.
Argon Hörbuch, 6 CDs, 470 Minuten; 19,95 Euro
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