BuchKolumne 16.09.2024 Nr. 839
Claire Lombardo – Genau so, wie es immer war
Bryan Johnston – Death TV – Dein Tod steht im Programm
David Nicholls – Zwei in einem Leben
Clemens Meyer – Die Projektoren
Bernhard Aichner – Yoko
Hörbuch der Woche:
Andreas Franz / Daniel Holbe –
Schwarze Dame
Claire Lombardo – Genau so, wie es immer war
Manchmal kann Julia Ames es gar nicht fassen, was für ein unwahrscheinlich schönes Leben sie führt. Mit Mark hat sie seit Jahrzehnten einen liebenden Ehemann an ihrer Seite, zusammen haben sie zwei Kinder in die Welt gesetzt, auf die sie stolzer nicht sein könnte. Doch Glück ist nur ein vorübergehender Zustand, wie Julia schnell feststellen muss – Familie bleibt einem hingegen ein Leben lang erhalten. Sohn Ben schockiert seine Eltern bei einem Besuch mit einer folgenschweren Nachricht. Tochter Alma ist kurz davor, aufs College zu gehen, was eine ungewohnte Angst vor dem leeren Nest in Julia weckt. Und beim Einkaufen trifft Julia zufällig auf eine Frau, die sie seit fast 20 Jahren nicht mehr gesehen hat – einst war die mütterliche Freundin ihre Rettung, bevor sie einer Katastrophe den Weg ebnete. Gefangen zwischen ihrer bewegten Vergangenheit und der chaotischen Gegenwart verliert Julia zunehmend die Kontrolle.
Claire Lombardo hat mit ihrem Debütroman „Der größte Spaß, den wir je hatten.“ die Literaturszene im Sturm erobert. Auch ich war begeistert. Ich schrieb damals: „-Der größte Spaß, den wir je hatten- ist eine so lebensnahe und wunderbare Geschichte! Und ich hatte wirklich sehr großen Spaß beim Lesen dieses Buches.“ Kann man solch einen mächtigen Erfolg wiederholen? Viele Debütantinnen und Debütanten sind daran gescheitert. Nicht so Claire Lombardo. Mit „Genau so, wie es immer war“ macht sie nahtlos da weiter, wo sie mit „Der größte Spaß, den wir je hatten“ aufgehört hatte. Ein Familienroman der Extraklasse! Wenn man einen besonderen Roman über eine ganz normale Familie mit den ganz normalen Problemen einer langen Ehe mit Kindern lesen möchte, dann sollte man zu dieser Geschichte greifen. Ich habe mitgelitten, mitgefiebert, gelacht, geweint, Nägel gekaut, wie die Figuren, denn bei dem einem oder dem anderen Problem nun handeln werden. Eine Geschichte, die einen vollkommen einnimmt, weil es das Leben zeigt, wie es ist! Woran andere Autorinnen schon auf 200, 300 Seiten scheitern, zieht Claire Lombardo über 700 Seiten lang gnadenlos durch. Gnadenlos gute Literatur des gnadenlos normalen Lebens!
dtv, 719 Seiten; 26,00 Euro
Bryan Johnston – Death TV – Dein Tod steht im Programm
Frankie Percival ist verzweifelt! Um ihren Bruder vor dem finanziellen Ruin zu bewahren, erklärt sich die alleinstehende Bühnenkünstlerin und Mentalistin bereit, sich in der beliebtesten Fernsehshow der Welt umbringen zu lassen. Kaum dass sie ihr Todesurteil unterschrieben hat, werden ihr durch Hypnose die Erinnerungen genommen, sodass sie keine Ahnung hat, bald zur weltweiten Unterhaltung und auf spektakuläre Weise getötet zu werden. Nichts ahnend, dass jeder es auf ihr Leben abgesehen haben könnte, erhält Frankie plötzlich ein Angebot, das ihren beruflichen Durchbruch bedeuten könnte. Die Lösung ihrer Probleme scheint zum Greifen nah, wenn nicht ihr Tod schon fest im Programm stehen würde.
Wenn ich das Cover als Grundlage nehme und den Titel noch dazu, dachte ich, hier erwartet mich eine Art literarisches „Saw“ der Zaubertricks. Doch weit gefehlt. Die Story beginnt vielversprechend. Man bekommt interessante Einblicke in Zauber- und Bühnenshows und natürlich auf das mörderische Spektakel. So weit so gut. Aber auf dem Cover steht zu dem oben erwähnten auch noch Thriller, doch diesen habe ich auf die ganze Länge des Buches sehr vermisst. Es gibt Spannungshöhepunkte mit einigen gelungenen Überraschungen, aber das täuscht nicht über die langen Passagen hinweg, die die LeserInnen in eine andere Welt zaubern, die des Schlafes. Den sehr gewagten Vergleichen des Netflix-Hits „Squid Game“ und des Hollywood-Kinohits „Die Unfassbaren“ hält „Death TV“ keinesfalls stand!
Droemer, 366 Seiten; 18,99 Euro
David Nicholls – Zwei in einem Leben
Schon lange hat Ella das Gefühl, dass in ihrem Leben etwas fehlt. Es erscheint ihr wie ein Zeichen, als sie von einem ehemaligen Londoner Frauenhaus eine mysteriöse Schachtel überreicht bekommt, auf der der Name ihrer verstorbenen Großmutter steht. Die Schachtel enthält lediglich ein verblichenes Foto aus Griechenland und ein altes Notenblatt. Ella nimmt sich eine Auszeit, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Bei ihren Recherchen zu dem Notenblatt lernt sie den Pianisten Gabriel kennen, der das Lied darauf erkennt. Das Foto wiederum führt Ella auf eine kleine griechische Insel. In einem malerisch gelegenen Häuschen am türkisblauen Meer entdeckt sie nicht nur ihre lange vernachlässigte Kreativität wieder: Zusammen mit Gabriel kommt Ella ihrer tragischen Familiengeschichte auf die Spur und dem Geheimnis um eine verbotene Liebe. Kann das Erbe ihrer Großmutter Ella auch einen neuen Weg in die Zukunft weisen?
David Nicholls hat mit dem Roman „Zwei an einem Tag“ einen Kult-Bestseller geschrieben! Nun macht er sich auf, dass auch mit seinem neuen Roman „Zwei in einem Leben“ zu schaffen. Es ist eine Geschichte über gelebte und erzwungene Einsamkeit, über das Überwinden alter Strukturen, dem Hinwenden zu etwas Neuem, dem Leben eine zweite und auch dritte Chance zu geben, denn man hat nur eines davon. Und natürlich ist es auch eine Geschichte über die große Liebe. Sie zu finden, sie zuzulassen, sie zu entwickeln. „Zwei in einem Leben“ ist ein liebevoller Roman über die Liebe und das Leben, und man glaubt es nicht, im Stile von Mega-Bestseller „Ich bin dann mal weg“. Sie lesen diese Geschichte, sehr wahrscheinlich im Sitzen, und wandern aber zugleich sehr anschaulich quer durch Großbritannien. Von Küste zu Küste. Also auch eine sportliche Geschichte, ohne dabei schwitzen zu müssen und wandern zu gehen.
Krüger, 442 Seiten; 25,00 Euro
David Nicholls – Zwei in einem Leben – Hörprobe 5:00 Min.
Im Velebit-Gebirge erlebt ein ehemaliger Partisan die abenteuerlichen Dreharbeiten der Winnetou-Filme. Jahrzehnte später finden an genau diesen Orten die brutalen Kämpfe der Jugoslawienkriege statt – mittendrin eine Gruppe junger Rechtsradikaler aus Dortmund, die die Sinnlosigkeit ihrer Ideologie erleben muss. Und in Leipzig werden bei einer Konferenz in einer psychiatrischen Klinik die Texte eines ehemaligen Patienten diskutiert: Wie gelang es ihm, spurlos zu verschwinden? Konnte er die Zukunft voraussagen? Und was verbindet ihn mit dem Weltreisenden Dr. May, der einst ebenfalls Patient der Klinik war?
Clemens Meyer ist einer der großen, modernen Literaten in unserem Land! Sein neuestes Werk „Die Projektoren“ ist eine literarische Fundgrube. Ein Mammutwerk! Über 1.000 Seiten lang darf man den schönen, spannenden, zerstörerischen und erhellenden literarischen Spielereien des Clemens Meyer folgen. Eine Geschichte, die so viel vereint, dass ich oft staunend und mit großen Augen dem Geschehen folgte. „Wo hat er das nun wieder her, der Clemens Meyer“, dachte ich mir. Gehen Sie ins literarische Kino und erleben Sie dort das Ausnahmeprojekt „Die Projektoren“! Das Buch ist für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert.
S. Fischer, 1.049 Seiten; 36,00 Euro
Bernhard Aichner – Yoko
Yoko ist Ende zwanzig, als sie die Metzgerei, die sie von ihrem Vater geerbt hat, in eine kleine Manufaktur umwandelt. Mit Hingabe verpackt sie fortan das Glück in Kekse, anstatt Schweinehälften zu zerlegen. Sie ist verliebt, ihr Leben ist erfüllt von Leichtigkeit, doch von einem Moment zum anderen zerbricht alles. Yoko liefert eine Kiste Glückskekse an ein chinesisches Restaurant aus, und als sie versucht, einem kleinen Hund im Hinterhof zu helfen, wird sie für ihre Courage von dessen Peinigern bestraft. Der Hund stirbt. Und Yokos Albtraum beginnt. Noch ahnt sie nicht, mit wem sie es zu tun hat. Wie viel Leid über sie hereinbrechen und mit welch ungeahnter Härte sie sich dafür rächen wird. Ihr wird alles genommen, was ihr lieb ist. Und deshalb schlägt Yoko zurück. Erbarmungslos.
Bernhard Aichner schreibt furiose Thriller und Krimi-Kammerspiele! Er setzt immer noch einen obendrauf, so dachte ich mir, als ich sein neuestes Buch „Yoko“ las. Da musste ich gleich an die von mir geschriebene „Hurenrache“-Trilogie denken. Eine geschändete Frau nimmt erbarmungslos Rache. Und Yoko geht da wahrlich skrupellos vor. Nach ihrer Schändung muss sie auch noch einen Tod verdauen, und dann ist es ganz aus bei ihr. Bernhard Aichner hat mit „Yoko“ einen eiskalten Rache-Thriller geschrieben, der auf jeder Seite unter die Haut geht! Ein Film- bzw. serienreifer Stoff.
Wunderlich, 332 Seiten; 23,00 Euro