BuchKolumne 05.06.2023 Nr. 772
Virginia Hartman – Tochter des Marschlands
Maria Pourchet – Feuer
Claire Alexander – Und morgen ein neuer Tag
Lia Scott – Sturmjahre – Ein Gefühl von Unendlichkeit
Etty Hillesum – Ich will die Chronistin dieser Zeit werden
Virginia Hartman – Tochter des Marschlands
Loni Mae Murrow liebt ihr geordnetes Leben in Washington, D.C., wo sie ihr Talent zum Beruf gemacht hat: Für ein Naturkundemuseum fertigt sie naturgetreue Zeichnungen von Vögeln an. Als ihre Mutter Ruth erkrankt, folgt sie nur widerwillig der Bitte ihres Bruders, in die Kleinstadt ihrer Kindheit im Marschland Floridas zu kommen. Denn inmitten der unberührten Landschaft lauern die Erinnerungen an Ruths Gefühlskälte und an den tragischen Tod ihres Vaters Boyd als Loni zwölf Jahre alt war. Dann findet sie einen Hinweis, der Boyds Bootsunfall in einem neuen Licht erscheinen lässt. Sie macht sich auf die Suche nach der Wahrheit. Und nach dem, was Familie, Liebe und Heimat für sie bedeuten.
Wer kennt ihn nicht, den großartigen Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens. Der dazu auch noch gleichwertig gut verfilmt wurde. Das ist bei Literaturverfilmungen nicht immer der Fall. Kann man diesen Erfolg wiederholen? Ganz, ganz schwer. Aber die amerikanische Autorin Virginia Hartmann versucht es mit ihrem Roman „Tochter des Marschlands“. Das Marschland, literarisch seit den Flusskrebsen ein ganz magisches Wort, denn es soll als Buch Erfolg versprechen. An die Flusskrebse kommt die „Tochter des Marschlands“ nicht heran, doch Virginia Hartman hat es trotzdem geschafft, eine spannende und dramatische Geschichte zu erzählen. Lonis Rückkehr in die Heimat beginnt ruhig, und sie wirft in Schlaglichtern auch immer wieder einen Blick zurück in ihrer Kindheit in Florida. Doch schafft es Virginia Hartman, dass man nie aufhören will zu lesen, denn das große Geheimnis, und auch einige kleine, lodern immer wieder auf und machen Lonis ruhige Rückkehr ins Marschland immer unruhiger. „Tochter des Marschlands“ ist fesselnde Literatur, die sich den großartigen Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ zum Vorbild genommen hat!
Heyne, 463 Seiten; 22,00 Euro
Maria Pourchet – Feuer
Laure ist Dozentin an einer Pariser Universität, verheiratet und Mutter von zwei Töchtern. Mit vierzig ist sie im Leben angekommen und hat doch das Gefühl, in der Summe zu vieler Kompromisse zu erstarren. Sie beneidet ihre älteste Tochter Véra um deren Glühen, deren feministische Wut. Clément, Single, fünfzig Jahre alt, joggt morgens an der Seine und spricht abends mit seinem Hund. Er hat einen gutdotierten Job in der Finanzwelt und angesichts des ständig drohenden Crashs an der Börse jeglichen Glauben an die Welt verloren. Die eine erwartet vom Leben die Überraschung. Der andere, unfähig zur Illusion, wartet darauf, dass es zu Ende geht. Kurzum, beide wünschen sich, dass ihnen endlich etwas passiert. Doch dann entfacht ihre Begegnung ein Feuer, das schnell außer Kontrolle gerät.
„Feuer“ war ein Bestseller in Frankreich. Das schreibt der Verlag über das Buch: „Frech, provokant, hemmungslos: Maria Pourchet erzählt von einer verhängnisvollen Liebe in Paris, von einer Frau und einem Mann, die in einer leidenschaftlichen Affäre aus den vorgezeichneten Bahnen ihres Lebens ausbrechen. Ein faszinierender Roman über die Komplexität der Liebe und die großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit.“ Oh, was habe ich auf diesen Roman hin gefiebert. Ich war Feuer und Flamme! Doch mein „Entbrannt sein“ für diesen Roman wurde schnell auf die Größe eines Streichholzbriefchens zusammengestutzt. Maria Pourchet ganz eigenwillige Erzählweise haben mir die feurige Lust schnell verdorben. „Feuer“ mag literarisch gewissen Ansprüchen genügen, aber von einer fesselnden Erzählweise ist dieses Buch so weit entfernt wie der Eiffelturm von Grönland. So zerrinnt alles zwischen den Seiten, die ansprechende Grundstory und die eigentlich gut konstruierten Figuren.
Luchterhand, 318 Seiten; 24,00 Euro
Claire Alexander – Und morgen ein neuer Tag
Seit mehr als drei Jahren hat Meredith ihr Haus nicht verlassen. Über das Warum – über das, was vor 1.214 Tagen geschah – spricht sie mit niemandem. Denn eigentlich ist doch alles in Ordnung: Sie arbeitet erfolgreich von zu Hause, bruncht am Küchentisch mit ihrer besten Freundin, liest in ihrem gemütlichen Ohrensessel und kocht Pasta Puttanesca. Aber dann tritt Tom in ihr Leben, und Meredith muss zugeben, dass sie nicht so glücklich ist wie sie vorgibt. Doch gerade als sie beginnt, sich Tom zu öffnen, holt ihre Vergangenheit sie schlagartig ein. Und Meredith begreift: Um wirklich zu leben, braucht es viel mehr als einen Schritt vor die Haustür.
Claire Alexander ist die neue Cecelia Ahern! Zumindest wenn sie so weitermacht, wie mit ihrem Debütroman „Und morgen ein neuer Tag“. Vieles erinnert, beim Plot und der Beschreibung der Figuren, an die irische Weltbestsellerautorin. Merediths Weg zu verfolgen ist niemals langweilig, obwohl sie doch, landläufig, langweilige Sachen macht. Puzzle bauen, Bücher lesen, sich um ihren Kater kümmern, und immer wieder mit Tom über das Leben und über Freundschaften spricht. Doch Meredith hat zahlreiche Narben auf ihrer Seele, und die lernen die LeserInnen Seite um Seite kennen, und können immer noch mehr mit ihr fühlen. Das Buch ist wie eine Wärmflasche für die Seele!
Goldmann, 445 Seiten; 16,00 Euro
Schottland 1917: Grüne Wiesen, graue Steinhäuser und starke Winde – das ist die Heimat von Bonnie und ihrer großen Familie im beschaulichen Foxgirth. Dort ist Bonnie Krankenschwester. Doch seit der 1. Weltkrieg tobt, versorgt sie verletzte Soldaten in einem weit entfernten Krankenhaus. Eines Tages landet ihr Bruder Archie verwundet auf ihrer Station, zusammen mit seinem Kameraden Connor, den Bonnies Lachen in all der düsteren Zeit glücklich macht. Bald reisen Bonnie und die Männer zurück in die Heimat, wo sie auf eine bessere Zukunft hoffen. Doch als Connor die Schatten der Vergangenheit einholen, muss Bonnie eine mutige Entscheidung treffen.
Lia Scott hat sich Großes vorgenommen. Ihre „Sturmjahre“-Saga wird fünf Bände umfassen. „Ein Gefühl von Unendlichkeit“ macht den Anfang. Viel Drama, große Gefühle, herrliche Landschaften, starkes Personal. Der Anfang der „Sturmjahre“-Saga macht schon jetzt Lust auf mehr. Auf viel mehr! Die nächsten vier Bände können kommen. „Das Versprechen einer neuen Zeit“ folgt bereits im August 2023. Lia Scott wandelt auf den Spuren einer Lucinda Riley und einer Kate Morton!
Fischer, 509 Seiten; 11,99 Euro
Etty Hillesum – Ich will die Chronistin dieser Zeit werden
10 Monate nach Beginn der deutschen Besatzung der Niederlande begann die 27-jährige Etty Hillesum unter dem Eindruck einer Psychotherapie, ein Tagebuch zu schreiben. Sie wollte Ordnung in ihr Leben bringen, den Dingen auf den Grund gehen, Gott finden, aber auch Zeugin des Schicksals ihres Volkes werden. Inmitten des Schreckens berichtet sie von der Suche nach Einfachheit und Achtsamkeit und schließlich nach Licht in der „Hölle auf Erden“. Die erlebte sie seit dem Sommer 1942 im Durchgangslager Westerbork, wo sie für den Amsterdamer „Judenrat“ in der „Sozialen Versorgung der Durchreisenden“ arbeitete. Ihre Briefe aus dieser Zeit beschreiben den täglichen Horror. Am 7. September 1943 wurde Etty Hillesum selbst nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ist dort umgekommen.
Die Tagebücher der jungen Niederländerin Etty Hillesum (1914 – 1943) sind, wie das Tagebuch der Anne Frank, ein Dokument des Holocaust und viel mehr als das: Sie wurden als philosophische Lebenskunst, Mystik des Alltags und Ethik des Mitleidens gerühmt. Nach der Publikation von Auszügen aus den Tagebüchern 1981 (dieses Buch umfasste etwas mehr als 200 Seiten) war endlich eine Neuübersetzung des Gesamtwerks angebracht. Diese Ausgabe, die fast 1.000 Seiten umfasst und sämtliche Tagebücher und Briefe enthält, lässt Sie eine Schriftstellerin und Denkerin neu entdecken, die zu Recht mit Anne Frank, Simone Weil und Edith Stein verglichen wird. „Ich will die Chronistin dieser Zeit werden“ ist beeindruckend, faszinierend, niederschmetternd! Die psychologische Analyse einer Frau, die ihrer Zeit voraus schien. Zu den fast 1.000 Seiten gibt es noch einen umfassenden Bildteil. Zahlreiche Fotos zeigen interessante Einblicke.
C. H. Beck, 987 Seiten; 42,00 Euro