April 29, 2024

Kolumne 31.01.2022 Nr. 702

BuchKolumne 31.01.2022 Nr.702

Giles Kristian – Lancelot
Hannes Köhler – Götterfunken
Philippe Djian
Die Ruchlosen
Susanne Popp
Die Teehändlerin
Yasmine Mohammed
Entschleiert

 Giles Kristian – Lancelot

Giles Kristian - Lancelot

Die Zukunft Britanniens liegt um Dunkeln. Die Herrschaft der Römer ist nur noch eine blasse Erinnerung. Doch das Land ist zerrüttet, und die Zeit des Großkönigs Uther Pendragon neigt sich dem Ende entgegen. Fernab von den Zentren der Macht, auf einer kleinen Insel im tosenden Meer, wächst ein Junge auf, dessen Geschicke mit denen des Landes auf schicksalhafte Weise verknüpft sind. Ein grausamer Verrat machte ihn zum Waisen. Er ist mittellos, doch große Lehrmeister teilen ihr Wissen mit ihm. Er ist geschickt, und weiß mit Tieren umzugehen. Seine unverbrüchliche Treue zu einem neuen König wird dem Land Hoffnung schenken. Seine Liebe zu einer mächtigen Frau wird es spalten. Dies ist die Geschichte von Lancelot.

Ein spannungsgeladener Roman, inszeniert wie ein Hollywood-Epos von Ridley Scott, und in so bildreichen Worten und Sätzen verfasst, dass man die Geschichte in sich aufsaugt wie ein Schwamm! Giles Kristian hat mit der „neuen“ Geschichte von Lancelot ein Buch abgeliefert, dem man sich nicht entziehen kann, wenn man historische Stoffe schätzt. Nur ein Beispiel, wie bildreich Giles Kristian „Lancelot“ umsetzt: „Es war einer jener warmen Spätsommertage, an denen die Luft träge und vom schweren Duft des Geißblatts erfüllt ist und die Lichtungen und Dickichte im Wald überschwemmt vom schläfrigen Brummen zahlloser Fliegen. Wenn sich Bienen und Schmetterlinge um Blüten versammeln und Raupen die Borke der Eiche verheeren, Käfer über den laubbedeckten Boden klettern und man dann und wann das ferne Hämmern eines Spechts vernimmt, der Larven aus ihren Tunneln im alten Holz meißelt.“

Heyne, 832 Seiten; 13,00 Euro

 Hannes Köhler – Götterfunken

Hannes Köhler - Götterfunken

Sie nennen sich der Spanier, der Franzose und der Alemán. Toni, Germain und Jürgen treffen sich Mitte der 70er Jahre in Barcelona, entschlossen, Widerstand gegen das faschistische Franco-Regime zu leisten. Sie planen eine Aktion, der Anschlag gelingt. Doch jemand muss sie verraten haben. Germain kann fliehen, Toni wird festgenommen und verurteilt. Und Jürgen? Viele Jahre später meint Toni den Deutschen auf der Hochzeit seiner Tochter gesehen zu haben. Er will endlich wissen, was damals geschehen ist, und kontaktiert Germain. Der wiegelt ab, um den aufgebrachten Toni zu beruhigen. Doch dann steht Germain selbst eines Abends unvermittelt vor Jürgens Tür.

Ich habe mich sehr auf dieses Buch gefreut! Habe einen Roman im Stile von Fernando Aramburus „Patria“ erwartet. Leider wurde ich in diesem Bezug von Hannes Köhlers „Götterfunken“ enttäuscht. Es entsteht kaum Lesefluss, da der Autor sprunghaft zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt. Nirgendwo kann sich die Geschichte richtig entwickeln. Und so können sich auch die Figuren dementsprechend nicht entwickeln und blieben mir von Anfang an fremd. Auch nutzt Hannes Köhler nicht das Spannungspotenzial, das die Grundstory hergegeben hätte. Der Roman verharrt auf allen Ebenen im Mittelmaß.

Ullstein, 366 Seiten; 24,00 Euro

 Philippe DjianDie Ruchlosen

Philippe Djian - Die Ruchlosen

Marc lebt mit seiner Schwägerin Diana in einer Stadt am Meer und kümmert sich seit dem Tod ihres Mannes leicht manisch, aber liebenswert um sie. Eines Tages findet er am Strand drei prallvolle Päckchen mit Koks. Er möchte die Ware für gutes Geld verkaufen, doch bald läuft alles aus dem Ruder. Freundschaften zerschellen, Liebe flirtet mit Verbrechen – und mitten aus dem Chaos erwachsen überraschende neue Bindungen und Gefühle.

Der Franzose Philippe Djian ist ein feiner Stilist und ein cooler Literat! Seine Romane haben immer das gewisse Etwas. Seine Stärken spielt Philippe Djian auch in seinem neuen Roman „Die Ruchlosen“ aus. Er erzählt mit wenigen, fein geschliffen Sätzen, eine temporeiche, dramatische und spannende Geschichte. Die Figurenkonstellation ist ihm überaus gut gelungen. Die kleine Geschichte um „Die Ruchlosen“ entwickelt sich nach und nach zu einem Ungetüm von Buch!. Philippe Djian spielt mit der Sprache. Nur ein Beispiel, um das „Gewisse“ zu beschreiben: „Es kam vor, dass Männer gleich den richtigen Weg fanden, beim ersten Versuch, wo andere, schönere, intelligentere, reichere sich ergebnislos abmühten, den passenden Schlüssel zu finden. Serge war einen Moment vor der Tür herumscharwenzelt, ohne aufzugeben, bis er schließlich die richtige Kombination entdeckt hatte.“

Diogenes, 202 Seiten; 22,00 Euro

Susanne PoppDie Teehändlerin

Susanne Popp - Die Teehändlerin

Frankfurt 1838: Als Kaufmannstochter und Ehefrau des Teehändlers Tobias Ronnefeldt genießt Friederike es sehr, ab und an hinter der Theke ihres Geschäfts zu stehen – sie liebt den blumigen, leicht erdigen Duft der dunklen Teeblätter. Doch tiefere Einblicke in den Handel bleiben ihr verwehrt. Das ändert sich, als Tobias 1838 zu einer monatelangen Reise nach China, dem Land des Tees, aufbricht. Ausgerechnet jetzt, wo sie schwanger ist. Bald merkt sie, dass sie dem neuen Prokuristen, den Tobias eingestellt hat, nicht trauen kann. Das ganze Unternehmen ist in Gefahr. So bleibt Friederike nichts anderes übrig, als die Geschicke des Hauses selbst in die Hand zu nehmen. Um diese Herausforderung zu bestehen, muss sie neue Kräfte entwickeln – und den Mut, sich zu behaupten.

Susanne Popp liebt Tee, was schon mal ein guter Antrieb ist, um darüber einen Roman zu schreiben. Dazu hat sie auch noch einen besonderen Bezug zu der Teetraditionsmarke Ronnfeldt. Mit „Die Teehändlerin“ beginnt sie nun die Saga über die Ronnfeldts. Schon der erste Band hat mich, als geschätzten Teetrinker, sehr angesprochen. Der Tee als Mittelpunkt einer spannenden Familiengeschichte – Susanne Popp verwöhnt die LeserInnen mit angenehmen Lesegenuss!

Fischer, 560 Seiten; 10,99 Euro

 Yasmine Mohammed – Entschleiert

Yasmine Mohammed - Entschleiert

Yasmines Leben ist stellvertretend für so viele andere Frauen in radikal-islamischen Familien: Sie lebt in Kanada, einer westlichen Gesellschaft, doch zu Hause erlebt die intelligente, selbstbewusste junge Frau Entrechtung, Gewalt und religiösen Terror, vor allem durch ihren Stiefvater, einen hochrangigen Al-Quaida-Funktionär. Als er noch dazu übergriffig wird, klagt Yasmine ihn an, doch das Unfassbare geschieht: die Richterin lehnt die Klage wegen „kultureller Unterschiede“ ab. Was muss passieren, damit Frauen wie Yasmine beschützt werden?

„Entschleiert“ ist ein passender Titel, gleich in mehrfacher Form, für diesen aufwühlenden Erfahrungsbericht. Zum einen „entschleiert“ sich die Autorin, zum anderen „entschleiert“ sie, was in konservativ und islamistisch denkenden und handelnden muslimischen Familie Frauen ertragen und erleiden müssen. „Entschleiert“ gewährt tiefe Einblicke in das Innenleben gewaltbereiter islamischer Ehen und gibt zugleich Hoffnung für Frauen, die den Mut haben, sich aus diesen Fesseln zu befreien. Wohl wissend, dass das für die Frauen, so traurig das ist, tödliche Konsequenzen haben kann.

Lübbe, 312 Seiten; 14,90 Euro