Kolumne vom 23.05.2016 – Nr. 405
Martin Walker
Eskapaden
In Saint-Denis wird Marco Desaix der Patriarch genannt, Kriegsheld mit hochrangigen Kontakten zur französischen, russischen und israelischen Regierung. Und er ist Brunos Jungendidol. Auf seinem Schloss lernt Bruno dann den Gastgeber und dessen Familie kennen, und bekommt einige familiäre und politische Themen serviert. Als am nächsten Tag ein Gast tot aufgefunden und sofort eingeäschert wird, beginnt Bruno zu ahnen, dass dieser nur eine von mehreren Leichen im wohlgefüllten Weinkeller sein dürfte.
Nicht alle sieben Bruno-Romane zuvor waren ein kriminalistischer Hochgenuss, der aktuelle Fall „Eskapaden“ hat aber seine Reize, die er auch sehr oft ausspielt. Bruno, Chef de police, muss, wie gewohnt, an mehreren Fronten kämpfen. Der Kriminalfall führt ihn in die politische und geheimdienstliche Ecke, die Bewohner seiner Stadt treiben ihn auch um, genauso wie die Liebesbeziehung zu Dauerfreundin Pamela. Überall kracht es. Ein gemütlicher Krimi, der einem Bruno, das Périgord, den Wein und überhaupt Frankreich und seine Menschen auf spannend unterhaltsame Weise näher bringt. Der Schotte Martin Walker schafft es also auch mit dem achten Roman der Bruno-Reihe, seine Leser zu überzeugen.
Auch als Hörbuch erhältlich bei Diogenes Hörbuch. Martin-Walker-Stammvorleser Johannes Steck liest auch diesmal. Der große Geschichtenvorleser Johannes Steck macht wieder einen exquisiten Job. 24,99 Euro.
Diogenes, 393 Seiten; 24,00 Euro
Nell Zink
Der Mauerläufer
Berner Oberland, 21. Jahrhundert. Dies und das passiert, nachdem das Auto den Felsen geschrammt hat. Tiffany ist nicht mehr schwanger. Stephen fängt, na ja, den wunderbarsten Vogel überhaupt – flink, in einer Art Tarnkleid und schön –, so einen hat er zum allerersten Mal gesichtet. Und der Mauerläufer, der Mauerläufer macht: “Twii!” Seitensprünge, Vogelbeobachtung, Drogen, Kinderwunsch, Dubstep, Sex, lästigen kleinen Pflichten, Öko-Aktivismus und Orten wie Bern, Berlin, Sachsen-Anhalt und dem Balkan reichen sich hier die Hand.
Vögel, Sex, Ehe und viele Belanglosigkeiten, das ist „Der Mauerläufer“. Ein Roman, der in Amerika hoch gelobt wurde. Nicht zuletzt von Bestsellerautor Jonathan Frantzen. Doch hier ist dieses Lob nur schwer nachzuvollziehen. Eine Geschichte, die vieles anreißt, aber nichts vertieft. Es streift auch mehrere Genres, aber das auch nur mehr schlecht als recht. Erotik, Krimi, Drama. Der Stil hat schon was, aber er wird auch nicht konsequent durchgehalten. Und was nützt ein schöner Stil, wenn die Story sich in zu vielem verzettelt und dann doch kaum etwas richtig anreißt. „Der Mauerläufer“ ist ein kleiner Roman, der, wenn er richtig erzählt worden wäre, auch richtig gut hätte werden können.
Rowohlt, 188 Seiten; 19,95 Euro
Matthew J. Arlidge
Kalter Ort
Als Ruby aufwacht, weiß sie sofort, dass sie nicht in ihrem eigenen Bett liegt. Doch das ist nur der Beginn ihres Albtraums. Jemand hält sie in einem Keller gefangen. Und ihr Kerkermeister nennt sie Summer. Am anderen Ende der Stadt. Ein Kind findet beim Spielen am Strand eine Frauenleiche, tief vergraben im Sand. Vor Ort birgt die Polizei weitere Opfer. Allerdings hat niemand sie vermisst gemeldet, weder Eltern noch Freunde. Für DI Helen Grace Beweis genug, dass sie es mit einem Täter zu tun hat, der extrem klug und vorsichtig agiert. Und plötzlich begreift sie, dass für jemanden die Uhr ticken könnte, der noch am Leben ist.
„Kalter Ort“ ist nach „Einer lebt, einer stirbt“ (Eene Meene) und „Schwarzes Herz“ der dritte Fall für DI Helen Grace. Der Brite Matthew J. Arlidge hat mir Helen Grace eine Serienfigur erschaffen, von der man nicht genug bekommen kann. „Kalter Ort“ ist ein Thriller mit unglaublich hohem Tempo. Die kurzen Kapitel, 142 an der Zahl, peitschen einen durch die Story. Der Thriller wartet auch mit einem Killer auf, dessen Handeln psychologisch ausgefeilt ist. Die Story dreht sich aber auch um den Polizeiapparat, und auch hier im Mittelpunkt DI Helen Grace. Die einen wollen sie weg haben, die anderen verehren sie. So entwickelt sich zur Hauptstory hier noch eine spannende Nebenstory.
Rowohlt, 381 Seiten; 9,99 Euro
Scholem Alejchem
Tewje, der Milchmann
Arm an Geld, reich an Kindern, träumt der Milchmann Tewje von einem Leben ohne Not und Leid. Doch nach einem unverhofften Geldsegen wendet sich das Blatt, man nimmt ihm seine Familie und seine Heimat. So bleibt er ganz allein in der Welt zurück, mit nichts als seinem Gottvertrauen und seinem jüdischen Humor. Allen Schikanen des Daseins setzt er ein humanes, verschmitztes Trotzdem entgegen, das Trotzdem des wahren Humoristen, der noch unter Tränen lacht und scherzt.
„Tewje, der Milchmann“ erschien erstmalig 1894 – 1916, nun liegt eine Neuübersetzung vor. Ein Buch, das zur Weltliteratur gehört. Der Roman ist wie ein heller Stern in dunklen Zeiten. Er verbindet Tragik mit Humor auf geschickte Weise. Tewje ist eine Figur, die man nicht so schnell wieder vergisst. Scholem Alejchem (1859 – 1916) gilt als Begründer der jiddischen Literatur. Als er im Mai 1916 starb, folgten 150.000 Menschen seinem Sarg auf den Friedhof von Brooklyn.
Manesse, 282 Seiten; 24,95 Euro
Gunter Gebauer
Das Leben in 90 Minuten
Warum darf man im Fußball die Hände nicht benutzen und muss mit dem schwächeren Körperteil, den Füßen, kommunizieren? Wie kommt es zu dem blinden Verständnis, dass das Spiel der Topmannschaften prägt? Warum kann schon der kleinste Fehler ein Spiel drehen? Und wenn man auf die Ränge schaut: Wie kommt es, dass sich wildfremde Menschen in den Armen liegen und den Sieg ihrer Mannschaft feiern? Der Philosoph und Sportdenker Gunter Gebauer geht diesen und noch viel mehr Fragen nach.
In zwei Wochen startet die Fußball EM in Frankreich. Da kommt dieses Buch gerade zur richtigen Zeit, sich mal philosophische Gedanken über den Fußball zu machen. Für Fußball-Muffel: das eine schließt das andere tatsächlich nicht aus. Kluge Gedanken über einen mitreißenden Sport, die findet man in dem Buch von Gunter Gebauer zuhauf. „Das Leben in 90 Minuten“ – ein Buch, das man öfter lesen kann, vor und nach dem Spiel!
Pantheon, 319 Seiten; 14,99 Euro
Hörbuch der Woche
Angela Marsons
Silent Scream
Eisig glitzert der Frost auf der tiefschwarzen Erde des Black Country, als die Geräte der forensischen Archäologen den Fund menschlicher Überreste anzeigen und Detective Kim Stone den Befehl zur Grabung erteilt. Nur wenige Schritte entfernt liegt das verlassene Gebäude des Kinderheims. Eine der ehemaligen Angestellten ist bereits tot, und auch das Leben der verbliebenen hängt am seidenen Faden. Kim ist überzeugt, dass die Lösung des Falls im lehmigen Boden begraben liegt, doch um ihm auf den Grund zu kommen, muss sie sich den Dämonen ihrer eigenen Kindheit stellen. Und noch ahnt sie nicht, was sich in Crestwood zugetragen hat und mit wem sie sich anlegt …
„Silent Scream“ ist kein ruhiger Thriller, sondern einer der aufwühlt. Die Figuren sind gut gezeichnet, besonders die Hauptfigur Detective Inspector Kim Stone sticht heraus. Die Engländerin Angela Marsons hat mit Kim Stone eine Figur erschaffen, die in Serie gehen wird. Bei dem Erfolg des ersten Bandes kein Wunder. In Großbritannien war „Silent Scream“ ein Nr. 1-Bestseller. Gelesen wird dieser düstere Thriller vom Ehepaar Andrea Sawatzki und Christian Berkel. Beide gehören in Deutschland zur ersten Schauspieler-Riege. Hier zeigen sie mit ihren eindrucksvollen Stimmen, wie vielseitig sie sein können. Andrea Sawatzki hat dabei aber den weitaus größeren Part.
Auch als Paperback erhältlich bei Piper, 14,99 Euro.
Der Hörverlag, 1 MP3 CD, 558 Minuten; 14,99 Euro
Denglers-buchkritik.de