April 20, 2024

Kolumne vom 19.08.2019

Kolumne vom 19.08.2019 – Nr.574


C. J. Tudor

daumen rauf

Lieblingskind

Lieblingskind

Eines Nachts verschwand seine geliebte Annie. Aus ihrem eigenen Bett. Das ganze Dorf hat sie gesucht, überall. Alle haben das Schlimmste befürchtet. Und dann, wie durch ein Wunder, kehrte sie vierundzwanzig Stunden später zurück. Aber sie konnte – oder wollte – nicht sagen, was ihr zugestoßen war. Und auch er konnte es sich nicht erklären. Er wusste nur, dass sie nicht mehr dieselbe war. Nicht mehr seine Annie. Und er bekam Angst – mörderische Angst vor seiner eigenen kleinen Schwester …

C. J. Tudor hat im letzten Jahr mit dem „Kreidemann“ einen der Thriller des Jahres geschrieben. Er war weltweit auf den Bestsellerlisten. Nun folgt ihr zweites Buch „Lieblingskind“. Stephen King hat sich in dieses Buch verliebt. Nach der Lektüre weiß man, warum das so ist. „Lieblingskind“ hat etwas von einem Stephen-King-Roman. Das Unheimliche, die Spannung, die lebendigen Figuren, einen starken Erzählton. „Lieblingskind“ wird Sie schnell in seinen Bann ziehen und nicht mehr loslassen. So werden Sie während der Lektüre auch zu einem Bewohner der Kleinstadt Arnhill. Mit dramatischen Folgen für Ihr Nervenkostüm!

Goldmann, 430 Seiten; 15,00 Euro


Neil Gaiman

daumen runter

Zerbrechliche Dinge

Zerbrechliche Dinge

Die Magie von Geschichten zieht sich wie ein roter Faden durch Neil Gaimans Werk. In diesen Erzählungen und Gedichten geht es u. a. um einen mysteriösen Zirkus, der sein Publikum in Angst und Schrecken versetzt, wie Sherlock Holmes in einem seltsam verzerrten viktorianischen England einen royalen Mord aufklären muss oder eine Gruppe von Feinschmeckern nach der letzten ungekosteten Gaumenfreude forscht.

Neil Gaiman, der mit „American Gods“ einen Klassiker der Moderne geschrieben hat, ist ein großartiger Autor! Aber auch dieser kann auf Abwege geraten, und das ist Neil Gaiman mit seinem neuen Buch „Zerbrechliche Dinge – Geschichten und Wunder“. Die 31 Geschichten auf 409 Seiten sind von sehr unterschiedlicher Qualität. Manche ließen die fantastischen Neil-Gaiman-Qualitäten aufblitzen, andere wiederum waren sterbenslangweilig. So ist man immer hin- und hergerissen. Überzeugen konnte mich diese Sammlung nicht, auch wenn das Buch einige Auszeichnungen bekommen hat. Manche Geschichten verdienen vielleicht diese Auszeichnungen, aber keinesfalls alle 31 Geschichten.

Eichborn, 409 Seiten; 16,00 Euro


Rachel Kushner

daumen rauf

Ich bin ein Schicksal

Ich bin ein SchicksalRomy Hall tritt eine zweimal lebenslängliche Haft in der Stanville Women’s Correctional Facility an, tief in Kaliforniens Central Valley. Draußen die Welt, von der sie nunmehr abgeschnitten ist: San Francisco, wo sie aufwuchs und wo ihr kleiner Sohn Jackson lebt. Drinnen eine ganz neue: Hunderte Frauen, die um das Nötigste zum Überleben kämpfen; ständiges Bluffen und Katzbuckeln und die beiläufige Gewalt durch Aufsichtspersonal wie Gefangene. Aber es gibt auch einen Hoffnungsschimmer am Horizont: einen noch an Ideale glaubenden Sozialarbeiter, der sich der jungen Frau annimmt.

Die junge Amerikanerin Rachel Kushner konnte mich schon mit „Flammenwerfer“ und „Telex aus Kuba“ begeistern. Nun erscheint ihr neuer Roman „Ich bin ein Schicksal“. Und auch diesen Roman lobt Stephen King in höchsten Tönen. Vollkommen zu Recht! Ein Roman, der einen gewaltig durchschüttelt! Durch Rachel Kushers Erzählung spürt man die Enge, die Ausweglosigkeit, das Verlorengehen des Menschseins bis ins Mark. Man wird Mitinsasse in dem Frauengefängnis und weiß schnell, dass man in diese Hölle niemals wollen würde. Doch sie verliert nie das kleine Stückchen Hoffnung aus den Augen, das man braucht, um dieses Leben meistern zu können. Kushner schafft es auch, mach humorvolle Passagen unterzubringen. Geschickt erzählt, abwechselnd in der Gegenwart und der Vergangenheit, als noch kein Gefängnisleben auf der Tagesordnung stand.

Rowohlt, 393 Seiten; 24,00 Euro


Andrei Kurkow

daumen rauf

Graue Bienen

Graue Bienen

Der Bienenzüchter Sergej lebt im Donbass, wo ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten Tag für Tag aufeinander schießen. Er überlebt nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen – sich raushalten. Ihn interessiert nur das Wohlergehen seiner Bienen. Denn während der Mensch für Zerstörung sorgt, herrscht bei ihnen eine weise Ordnung und wunderbare Produktivität. Eines Frühlings bricht er auf: Er will die Bienen in eine Gegend bringen, wo sie wieder in Ruhe Nektar sammeln können.

Krieg und Bienen, wie geht das zusammen? In „Graue Bienen“ von Andrei Kurkow erfährt man das auf sehr anschauliche Weise. Taktgeber des Romans ist natürlich der Krieg in der Ukraine. Ein Krieg, der so nah ist und für uns doch so weit entfernt. „Graue Bienen“ ist düster, weil es nicht anders funktioniert, will man das beschreiben, was sich im Grenzland zu Russland abspielt. Aber doch auch hell leuchtend, denn der Autor findet einen Ton, der einen auch immer wieder mal schmunzeln lässt.

Diogenes, 445 Seiten; 24,00 Euro


Herman Melville

daumen rauf

Mardi und eine Reise dorthin

Mardi und eine Reise dorthin

Südsee und Abenteuer, Liebe und Geheimnis, Zivilisations- und Gesellschaftskritik: All das findet sich in Herman Melvilles Roman „Mardi“. Alles beginnt mit einer Flucht: Der Erzähler desertiert von einem Walfänger, auf dem er erfolglos den Pazifik durchstreift hat. Die Begegnung mit einem unwiderstehlich schönen Mädchen führt ihn zunächst nach Mardi, dann zu weiteren Südsee-Idyllen und in den weiten Ozean enthemmten Fabulierens.

 

Herman Melville (1819 – 1891) hat mit „Moby Dick“ großartige Weltliteratur geschrieben! Nun bringt Manesse den fantastischen Roman „Mardi und eine Reise dorthin“ heraus. 1849 entstanden gilt er als Vorläufer von „Moby Dick“. Eine Geschichte voller Fantasie, toller Einfälle, starken Figuren und szenisch spannenden Beschreibungen.

Manesse, 824 Seiten; 45,00 Euro


Hörbuch der Woche

daumen rauf

Jeanne Marie Laskas

Briefe an Obama

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Was tut ein US-Präsident, wenn er wissen will, wie es um sein Land steht? Er liest. Während seiner Amtszeit gingen täglich Zehntausende Briefe im Oval Office ein. Jeden Abend las Barack Obama zehn ausgewählte Schreiben, einige beantwortete er persönlich. Zu Wort kommen Obama-Anhänger ebenso wie politische Gegner, vom Schulkind bis zum Kriegsveteranen. Was sie bewegt: die Folgen der Finanzkrise, die geplante Gesundheitsreform, soziale Gerechtigkeit, Bildungschancen und Start-up-Ideen, das Schicksal der Soldaten im Auslandseinsatz oder schlicht Schulaufgaben.

Sie wollen die Stimme Amerikas hören, dann lesen Sie dieses Buch! Oder hören das Hörbuch mit den ausgezeichneten Sprechern. Was fühlten und dachten die Menschen während der Präsidentschaft Barack Obamas? „Brief an Obama“ verrät es Ihnen. Was waren ihre wichtigsten Anliegen? Hier erfährt man es. Die Themen sind ausgewogen und vielfältig, so dass es auch für den Zuhörer immer spannend bleibt. Jeanne Marie Laskas hat das Buch gut aufgebaut und am Ende ist man traurig, weil man weiß, dass Barack Obama nun nicht mehr Präsident ist und keine Briefe mehr mit seinem Charme und Einfühlungsvermögen beantworten wird. Ein kleiner Makel hat das Buch und das Hörbuch dann doch: die Zeit, oder eher Donald Trump, hat Amerika eingeholt. Gelesen werden die Geschichte und die Briefe von Christian Baumann, Julia Cortis, Juliane Köhler und Franz Pätzold. Hörprobe 3:36 Min.

briefe an obama

 

Auch als Hardcover erhältlich bei Goldmann, 22,00 Euro..

 
Der Hörverlag, 8 CDs, 583 Minuten; 22,00 Euro


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