März 28, 2024

Kolumne vom 23.07.2018

Kolumne vom 23.07.2018 – Nr.518


Michael Ohl

daumen rauf

Stachel und Staat

Stachel und Staat

Bienen, Wespen und Ameisen: Wir preisen ihren Nutzen als Insektenvertilger, Obstbaumbestäuber und Waldpolizei. Und doch haben wir vor ihnen und ihrem schmerzhaften Stich Angst. Der Stachel ist die wichtigste Erfindung dieser Insektengruppe und Grundlage für die enorme Vielfalt an Arten und Lebensstrategien. Dieses, mit Makroaufnahmen bebilderte, Buch lässt sich auf die widersprüchlichen Seiten von Wespen, Bienen und Ameisen ein. Es erzählt, wie und warum der Stachel eingesetzt wird, welche Rolle der Schmerz für die Evolution dieser Insekten spielt, und was wir Menschen aus dem Verhalten der sozial lebenden Hautflügler lernen können.

Ein schönes Buch – im wahrsten Sinne des Wortes! Schön, weil Droemer es edel aufgemacht hat. Schön, aber vor allem wegen des Inhalts und der Leidenschaft des Biologe Michael Ohl. Ich habe schon einige Bücher über Insekten und Bienen gelesen, aber bisher habe ich noch keinen so leidenschaftlichen Vortrag über, vor allem, Wespen, und auch Bienen und Ameisen gelesen. Er geht in dem, was er macht, voll auf. Als Leser lernt man dabei ungemein viel über die kleinen Tierchen mit den Stacheln, die jeder von uns schon mal gespürt hat. Nach der Lektüre von „Stachel und Staat“ werden Sie die Wespen, Bienen und Ameisen mit anderen Augen sehen. Mit einem anderen Blick in ihrem Garten, dem Stadtpark oder im Wald auf die kleinen Tierchen blicken. Ein Buch mit einem extra Kick Lerneffekt!

Droemer, 336 Seiten; 39,99 Euro


Melissa Broder

daumen runter

Fische

Fische

Die achtunddreißigjährige Lucy ist nach der Trennung von ihrem Freund in einer tiefen Krise. Dann verlässt sie Phoenix und hütet in Venice Beach Haus und Hund ihrer Schwester. Doch sie bleibt wahnhaft, bis sie sich eines Abends am Strand in den wunderschönen Schwimmer Theo verliebt. Die Rettung aus ihrer Krise. Oder doch nicht? Denn als Lucy die Wahrheit über Theos Identität erfährt, muss sie sich einige Fragen noch einmal stellen: Was bedeutet es zu lieben? Wie weit können wir gehen, um ewige Liebe zu erfahren und wann geben wir uns selbst auf?

„Fische“ ist kein normaler Liebesroman! Ganz und gar nicht. Denn Lucys Theo ist ein Meermann, dessen Fischschwanz unterhalb der Lenden beginnt. Das klingt skurril. Ist es auch, aber die Autorin schafft es trotzdem, den Roman keine absurde Komik zu verleihen, sondern sie bleibt ernst mit einer kleinen Portion Humor. Aber eigentlich ist der Roman eher zum weinen, das liegt aber nicht an der ausgefallen Storyidee, sondern an der nervigen Hauptfigur Lucy. Sympathien für dieses jammernde Nervenbündel zu entwickeln ist nicht einfach. Hat die Autorin sich da selbst zum Vorbild genommen? Melissa Border ist in Amerika u. a. ein Twitter-Star, „Fische“ ihr literarisches Debüt, das auch noch mit einigen erotischen Szenen aufwarten kann. Bei diesem Roman geht es auf und ab, wie mit den Wellen im Meer.

Ullstein, 352 Seiten; 21,00 Euro


Florian Wacker

daumen rauf

Stromland

StromlandIquitos am Amazonas, 1984: Irina ist gemeinsam mit ihrem Freund Hilmar auf der Suche nach ihrem Zwillingsbruder. Thomas war Teil der Filmcrew um Werner Herzog und Klaus Kinski, ist jedoch nach Abschluss der Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ spurlos verschwunden. Entlang der großen Flüsse reisen die beiden in den Regenwald des Amazonasbeckens und tief hinein in die Abgründe menschlicher Hoffnungen und Sehnsüchte.

Angezogen hat mich der Roman wegen des Films „Fitzcarraldo“. Den sah ich 1982 mit meinem Vater im Kino, obwohl ich ihn wegen meines Alters von 7 Jahren eigentlich noch gar nicht hätte sehen dürfen. Und die Szene, als das Schiff den Berg hinaufgezogen wird, absolut legendär. Die hat sich mir schon damals ins Gedächtnis gebrannt. Ich wollte mich mit „Stromland“ wieder in die Zeit von damals, in die Zeit es Films, in das wilde Gebiet des Amazonas versetzen lassen. Das ist gelungen. „Stromland“ überzeugt mit seiner vielschichtigen Geschichte und der imposanten Kulisse, vor der Florian Wacker seinen Roman ausbreitet. Man wandelt während der Lektüre mit durch den dichten Urwald und begibt sich auf die Spuren der verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten, die darin etwas suchen und finden oder auch scheitern. „Stromland“ – Spitze!

Berlin Verlag, 346 Seiten; 20,00 Euro


Ingo Zamperoni

daumen rauf

Anderland

Anderland2017 war eine Zäsur in der Geschichte der USA. Wie schnell ändern sich durch eine Regierung, die die Regeln des politischen Miteinanders bricht, das ganze Land und seine Leute? Ingo Zamperoni war stets ein Fan der USA und kennt das Land in all seinen Facetten. Aber als kritischer Beobachter fragt er sich: Wie stabil kann dieses urdemokratische Gemeinwesen bleiben, wenn sein oberster Repräsentant an der Grenze des Asozialen agiert? Wie schnell verschwinden Toleranz, Rücksichtnahme und Freundlichkeit aus einer Gesellschaft, wenn dem Staatslenker diese Werte nichts zu bedeuten scheinen? Wie groß ist die Hoffnung noch, Amerika werde „great again“?

Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni landete mit seinem ersten Amerika-Buch „Fremdes Land Amerika“ einen Bestseller. Nun widmete er sich auf 188 Seiten erneut dem Amerika von heute. In „Anderland“ zeigt Ingo Zamperoni anschaulich die gespaltenen Staaten von Amerika. Immer schon irgendwie, aber seit Trump Präsident ist um ein Vielfaches mehr. Was vorher eher langsam zu Tage trat, scheint, seit Trump Präsident ist, im Eiltempo zu passieren – die Spaltung und der Verfall der amerikanischen Gesellschaft.

Ullstein, 206 Seiten; 18,00 Euro


Nina George

daumen rauf

Die Schönheit der Nacht

Die Schönheit der Nacht

Die angesehene Pariser Verhaltensbiologin Claire sehnt sich immer rastloser danach, zu spüren, dass sie lebt und nicht nur funktioniert. Die junge Julie wartet auf etwas, das sie innerlich in Brand steckt – auf des Lebens Rausch, auf Farben, Mut und Leidenschaft. In der glühenden Sommerhitze der Bretagne, am Ende der Welt, entdecken die beiden unterschiedlichen Frauen Lebenslust und Leidenschaft neu – und werden danach nie wieder dieselben sein.

 

Bestseller-Autorin Nina George zeigt mit „Die Schönheit der Nacht“ die unheimliche Schönheit der Literatur und die Besonderheiten der Liebe! Ein Buch wie ein warmer Sommerregen, aber mit Gewittern und später folgenden umschmeichelnden, strahlendem Sonnenschein. Die beiden Frauenfiguren sind Nina George gut gelungen. Vieler Leserinnen werden sich in einer der Frauen wiederfinden.

Knaur, 315 Seiten; 20,00 Euro


Hörbuch der Woche

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Otto Waalkes

Kleinhirn an alle

Kleinhirn an alle

Otto erzählt aus den ersten 70 Jahren seines Lebens – einem märchenhaften Aufstieg vom Deichkind zum Alleinunterhalter der Nation. Seine Sketche und Figuren haben unser kollektives Gedächtnis und unseren Witzwortschatz bereichert: Harry Hirsch (übergibt sich ins Funkhaus), Robin Hood (der Stecher der Entnervten), Susi Sorglos (föhnt ihr goldenes Haar), Louis Flambée (kocht Pommes de Bordell) Peter, Paul and Mary (are planning a bank robbery) und der „Schniedelwutz“ (hat’s bis in den Duden gebracht). Aber: Wer waren eigentlich Ottos Vorbilder? Wo kommt er her? Was treibt ihn an? Wie entsteht seine eigene Art von Komik? Und wozu überhaupt? Gibt es ein Geheimnis? In diesem Hörbuch und seinem Buch gibt es Antworten darauf.

Otto Waalkes ist deutsches Kulturgut! Wer in den 1960ern oder 1970ern geboren ist, ist praktisch mit Otto und seinem Humor aufgewachsen. Otto hat mit seinem intelligenten, aber so einfach daherkommenden Humor ganze Generationen geprägt. Und auch maßgebliche die neue Riege der Comedians beeinflusst. In seiner Biografie erfährt man viel über seine eher normale, aber durch Ottos Vortrag total witzige Kindheit; seiner Rock-’n’-Roll-Teeniezeit; seine Verehrung Heinz Erhardts; wie er zu seiner künstlerischen Anfangszeit mit Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen in einem Haus wohnte; wie er auf seinen Florida-Urlauben mit Bomber Gerd Müller Tennis spielte; wie überraschend für ihn seine ersten Erfolge waren; wie sein erstes Buch und später sein erster Film entstand; wie sehr er es liebt, sein Publikum zum lachen zu bringen; wie schwierig es für ihn war, ein normales Familienleben zu leben; wie seine weiteren Filme entstanden, und noch so viel mehr. Das Hörbuch ist um einiges besser als das Buch. Warum? Otto liest natürlich selbst, und daher bekommt das Geschrieben durch seinen Vortrag eine ganz eigene Dynamik. Nicht selten muss man schmunzeln, auch wenn es ein paar melancholische Momente gibt. Hörprobe

Kleinhirn an alle cover

Auch als Hardcover erhältlich bei Heyne, 22,00 Euro.

Random House Audio, 5 CDs, 372 Minuten; 22,00 Euro


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